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Teufelszeug Zucker?

In jedem Album mit Kinderfotos finden sich schokoladenverschmierte Gesichter, als wäre der erste Schokokeks ein Meilenstein wie Laufen lernen oder der erste Schultag. Und dieser süße Moment soll der erste Schritt in eine lebenslange Abhängigkeit sein?

Evannovostro / shutterstock.com
von
Alexandra Werdes
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Kinder als Zucker-Junkies

Neurowissenschaftler vergleichen das, was beim Naschen im Körper passiert, mit der Wirkung von Drogen: Der süße Stoff setzt Botenstoffe frei, die direkt im Belohnungszentrum des Gehirns andocken. Ergebnis: Supergefühl. Lerneffekt: Mehr davon! Und einige Wissenschaftler gehen sogar so weit zu sagen, dass Zucker süchtig macht. Denn in Experimenten zeigten Ratten Entzugserscheinungen, wenn ihnen eine vorher regelmäßig verabreichte Zuckerlösung vorenthalten wurde. „Wie Zucker zur tödlichen Droge wird“, hieß es sofort nach Veröffentlichung der Studie in den Zeitungen. Zucker soll schuld sein nicht nur an Übergewicht und Diabetes, sondern auch an Herzinfarkt, Alzheimer und Krebs.

Tatsache ist, dass 15 Prozent der Kinder in Deutschland an Übergewicht leiden, sagt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Tatsache ist laut Deutscher Diabetes Hilfe auch , dass die Zahl der Kinder, die an Typ 2, der „Alterdiabetes“, erkranken, in den letzten Jahren zugenommen hat. Doch „Kinder als Zucker-Junkies“ – das stimmt wohl nur im übertragenen Sinne: es gibt keine Beweise dafür, dass Zucker den Stoffwechsel im menschlichen Gehirn in einer ähnlichen Weise umbauen und zu einer körperlichen Abhängigkeit führen würde, wie Nikotin, Heroin und andere Suchtstoffe es tun. Vergleichbar mit Drogen ist nur die Belohnungswirkung: Zucker schmeckt nach mehr.

Das Ende der Unschuld

Für unsere Vorfahren war das ein Überlebensvorteil. Ihre Geschmacknerven kannten nur eins: Bitter gleich schlecht, süß gleich gut. Süß signalisierte: Hier hast du einen guten Energielieferanten, du kannst ungestraft zuschlagen, weil er nicht giftig ist. Schon Babys lächeln, wenn sie etwas Süßes schmecken – so tief ist diese Vorliebe durch die Evolution in unsere Gene eingebaut. Doch mit der süßen Unschuld ist es vorbei, seit wir nicht mehr jagen und sammeln, sondern vor dem Supermarktregal stehen. Zucker ist da alles andere als Mangelware.

Er versteckt sich in den Zutatenlisten auf den Packungen als Glucose, Fructose, Glucose-Fructose-Sirup, Maltit, Maltose… und ist in seinen Erscheinungsformen sehr wandelbar. Sogar im Geschmack: Zucker muss nicht mal süß sein. Er verbirgt sich als kalorienreiches Kohlenhydrat auch hinter Namen wie Maltodextrin, einem Stabilisator, der vielen Fertigsuppen oder auch Kindernahrung beigefügt wird (und übrigens auch vielen Light-Produkten, die damit werben, fettarm zu sein).

Der Stoff, aus dem der Zucker ist

Die Wandelbarkeit des Zuckers hängt mit seiner speziellen Molekülstruktur zusammen. Wie Legosteine sind die Grundbaustoffe unendlich miteinander kombinierbar. Basis für die modernen Zuckerarten ist immer Stärke – aus Kartoffeln, Weizen, oder amerikanischem Mais. Ohne Pflanzen gäbe es keinen Zucker. Denn Pflanzen können etwas, was wir nicht können: Sie wandeln Wasser und Kohlendioxid mit Hilfe von Sonnenenergie in Traubenzucker (Glucose) um. Um ihn zu speichern, verknüpfen sie…

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Nr. 3/2015