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Geschichte

Deutsche Geister

Lüderitz ist eine kleine Hafenstadt im Süden Namibias. Ihre Besonderheit: Hier begann die koloniale Phase des Kaiserreichs. 1915 war damit Schluss. Doch manches ist bis heute davon geblieben. Eine Spurensuche.

CC Damien du Toit, Lüderitz Port, flickr
von
Zora del Buono
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Geschichte

„Hey, jij!“ –
„Missis!“

Drei Wörter, ins nächtliche Berlin gerufen, drei Wörter, die mehr sagen als manche Geschichtsschreibung, in denen so vieles enthalten ist, Freude, Unterdrückung, Distanz, Hierarchie und das ganze ambivalente Verhältnis zweier Menschen, die sich nicht kennen und doch miteinander verbunden sind auf alle Zeit.

„Hey, jij!“, ruft sie also auf Afrikaans einem wildfremden schwarzen Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu, dem einzigen Passanten, den sie sieht, und meint damit „Hey, du da“, sie, die 94-jährige Dame, die sich verirrt hat zu später Stunde in West-Berlin, damals, als die Stadt nachts noch dunkel war und ruhig, ein Jahr vor dem Mauerfall. Irgendwo beim Schloss Charlottenburg steht die Besucherin aus Afrika und weiß den Weg nicht mehr – wo wohnten sie doch gleich, ihre Verwandten? „Missis!“, ruft der Mann überrascht zurück, sie eilen aufeinander zu, die kleine weißhäutige Greisin und der hochgewachsene Schwarze, so fremd hier wie sie oder viel fremder noch. Später werden ihre Verwandten mit ihr schimpfen, einfach einen schwarzen Mann anzusprechen auf offener Straße, das gehe doch nicht. Er begleitet sie zum Haus, Arm in Arm spazieren sie und schwatzen freudig erregt, über das Licht in Afrika, die Weite des Landes und den Geruch des Meeres, über das ferne Namibia, ihrer beider Heimat, welch schöner Zufall.

Zeittafel

Bis 1883: Neben San, Damara, Herero, Nama, Orlam und Ovambo leben seit dem 19. Jahrhundert Siedler, vorwiegend Portugiesen und Engländer, im Land.

1883: Heinrich Vogelsang erwirbt im Auftrag von Adolf Lüderitz die Bucht von Angra Pequena mit fünf Meilen Hinterland von dem Nama-Kaptein Josef Frederiks II. Vogelsang…

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No. 83 - Dez. 2010/Jan. 2011