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Kultur

Spiel ohne Grenzen

Castorfs Assoziations- und Widerspruchstheater geht am Ende seiner 25-jährigen Intendanz an der Volksbühne mit Goethes „Faust“ voll auf. Der unmögliche Versuch, die Inszenierung und ihre Ästhetik zu fassen

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von
Detlev Baur
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Nach Paris? Regisseur Frank Castorf und Bühnenbildner Aleksandar Denić verlegen ihren „Faust“ nach Paris. Das ist so konsequent wie willkürlich, denn abgesehen von den Schmähreden auf die Franzosen und deren Wein in der aggressiv-deutschtümelnden Trinkrunde in Auerbachs Keller spielt Frankreich in Goethes „Faust“ eigentlich keine Rolle. Goethes Riesendrama aus (mindestens) zwei Teilen war und ist vielmehr der Inbegriff eines ausgesprochen deutschen Schauspiels. Der vergrübelte Gelehrte, der endlich in die Welt will, der Pakt mit dem Teufel um der Karriere willen oder die Flucht ins helle Griechenland und schließlich die nur unter größten intellektuellen Mühen verständlichen philosophischen Exkurse im zweiten Teil sind ausgesprochen deutsche Elemente, die das Stück zu dem Drama der Deutschen machten. Warum also der Dreh, die Orte auf Denićs kreisender Bühne und damit den Schauplatz nach Paris zu verlegen?

Zum einen wollten Castorf und Denić mit dieser geographischen Verlegung vermutlich die Erwartungen bewusst und frontal unterlaufen. Doch neben einer Grundsatzopposition gibt es in Goethes Text tiefere Gründe für diesen Transfer. Die Inszenierung konzentriert sich auf den Aspekt des Kolonialherrn Faust, der ohne Rücksicht auf die „Ureinwohner“ vor Ort sich die Natur untertan machen will und zum gnadenlosen Unternehmertum strebt. Dafür wiederum schien Castorf die Kolonialmacht Frankreich in ihrer Unterdrückung Algeriens die richtige Wahl zu…

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Nr. 5/2017