Lesezeit 7 Min
Kultur

Jeden Abend Jubel und Tränen

An der Berliner Volksbühne wird mehr verabschiedet als nur der Intendant Frank Castorf. Es geht um das Theater selbst

BERLINER ZEITUNG / LAUTENSCHLÄGER
von
Ulrich Seidler
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Kultur

BERLIN. Das wird ein großer Moment. Es ist zwar noch nicht ganz klar, wie es ablaufen wird, aber am Sonnabend, während oder nach der letzten Vorstellung von Frank Castorfs "Karamasow"-Inszenierung, wird der OST-Schriftzug von der Volksbühne abmontiert, ein Kran wird zum Einsatz kommen, alles ist schon genehmigt.

Es wäre toll, wenn die Demontage in die Inszenierung einbezogen wird, natürlich sollte sie am besten während des endlosen "Großinquisitor"-Monologes erfolgen, wenn Alexander Scheer auf dem Dach zwischen den drei Buchstaben herumklettert, verfolgt von einem Kamerateam, das die Bilder in den längst ausverkauften Bert-Neumann-Saal sendet. Als Iwan Karamasow breitet er seinen literarischen Entwurf über einen Besuch Gottes bei den Menschen aus. Jesus zeigt sich im 16. Jahrhundert in Sevilla, sagt nichts, wird sofort erkannt, macht einen Blinden wieder sehen, weckt ein totes Mädchen auf und kriegt es dann mit dem Großinquisitor zu tun, der den Schweigenden einkerkert und auf den Scheiterhaufen werfen will, weil er den Menschen die Freiheit gegeben hat. Und dann kommt ein toller Abgang: Jesus küsst den Großinquisitor und geht. Wir sehen den erschöpften Alexander Scheer dahingefläzt im blau leuchtenden O liegen und wie in einer Mondsichel am Kranausleger in die Nacht schweben. Immer kleiner werdend. Ein strahlender Punkt, der noch einmal bildfüllend aufblitzt, und dann der Schriftzug: The End.

Das Publikum erhebt sich, wie es sich…

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22.06.2017