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Gesellschaft

Hundstage

Die »taz« wird 40 und leistet sich ein neues Haus. Der kleinen linken Zeitung geht es besser denn je. Für eine Redaktion, die nie normal sein wollte, ist das gefährlich.

HC PLAMBECK / DER SPIEGEL
von
Isabell Hülsen
und
Alexander Kühn
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Gesellschaft

Die Aufregung bei der »taz« ist wieder mal groß. Es geht nicht, wie früher, um die Weltrevolution, auch nicht um die Existenz der Zeitung. Es geht um Hunde. Einer von ihnen ist Merlot.

Der nach einem Rotwein benannte Mischling gehört einem Redakteur der Wochenendausgabe und ruht meist unter dessen Schreibtisch. Sechs weitere Hunde gastieren regelmäßig im Haus. Bisher war das kein Problem.

Im Neubau aber, den die »taz« demnächst beziehen will, sollen Hunde verboten sein. Weil sie Dreck machen und nach Hund riechen, aus Rücksicht auf Allergiker und jene, die Angst vor ihnen haben. Das hat die Geschäftsführung im Juli per Mail verfügt. Ohne Abstimmung, also ziemlich untazig.

Seither wird im Intranet über die Hundefrage debattiert. Ein Hundeblog wurde eröffnet: »Hundstage«. Redaktionsrat und Betriebsrat sind mit der Sache befasst. Manche Tazler schlagen als Kompromiss hundefreie Zonen vor. Vielleicht wäre ein Zwinger die Lösung. Geschäftsführer Kalle Ruch spottet: »Die jungen Leute wollen alle einen Köter, sie retten ihn in Kalkutta vom Straßenstrich und versprechen ihm ein Leben als Bürohund bei der ›taz‹.«

Traditionell ergreift die »taz« Partei für Minderheiten, das gehört zu ihrem Selbstverständnis. Aber wer ist hier die Minderheit: Hundebesitzer? Oder Hundehasser? Die spleenige Debatte ist eine der letzten Verrücktheiten in einer Redaktion, die immer stolz darauf war, nicht normal zu sein.

In zwei Wochen wird die »taz« 40 Jahre alt. Ende Oktober zieht sie in ihr neues Gebäude in der Berliner Friedrichstraße, das sich die Zeitung mal eben gebaut hat, vom Geld ihrer Eigentümer, der »taz«-Genossen. Das alte Haus, den Gründerzeitbau in der Rudi-Dutschke-Straße, wird sie behalten und vermieten – die kleine, linke »taz« ist jetzt Großgrundbesitzer, ein Kapitalistenschwein, wie sie im Jargon ihrer frühen Jahre geschrieben hätte. Die letzte Rettungskampagne, mit der die Zeitung bei Lesern um Geld betteln musste, liegt 18 Jahre zurück. Damals wurden den eh lausig bezahlten Mitarbeitern kurzzeitig die Essensmarken gestrichen, nun sind sogar winzige Gehaltserhöhungen drin.

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Nr. 38/2018