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Meine hohen Ansprüche und Ich

In allem tipptopp sein zu wollen strengt nicht nur an, es kann auch krank machen. Aber: Inzwischen wissen Psychologen, dass Perfektionismus auch Vorteile hat. Wann er uns guttut und wie wir seine Nachteile im Zaum halten

ERIC VAN DEN ELSEN
von
Anne Pek
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Strahlend weiße Zähne, eine Taille wie Gwyneth Paltrow, fünfmal täglich Obst und Gemüse, dreimal wöchentlich um den See joggen. Den neuesten Knausgård neben dem Bett. Jeden Freitag etwas Schönes mit Freunden unternehmen. Kinder mit Einser-Zeugnis, Küchenschränke ohne Krümel, (mindestens) sechsmal im Monat fantastischen Sex.

Haben Sie in Gedanken Häkchen gemacht? Und, wie viele? Vermutlich weniger, als Ihnen lieb ist. Es ist sogar recht wahrscheinlich, dass diese Liste einen schalen Nachgeschmack bei Ihnen hinterlassen hat. Schön – denn dann sind Sie wie nahezu jeder andere Mensch. Nicht perfekt.

Manchen fällt es leicht, mit dieser Erkenntnis klarzukommen. Andere haben Schwierigkeiten damit. Glaubt man Brené Brown, sind Letztere momentan in der Mehrheit. Denn, so die amerikanische Wissenschaftlerin: Wir leben in perfektionistischen Zeiten. Im Fernsehen und in den sozialen Medien, unter Kollegen, beim Umtrunk in der Nachbarschaft, überall belagern uns monströse Erwartungen. Wir sollen schlank und jugendlich aussehen, einen großen Freundeskreis haben und im Job erfolgreich sein. Und das alles scheinbar ohne Mühe. Wer sich sichtbar abrackert, ist raus.

Brené Brown, Professorin am Graduate College of Social Work in Houston, Texas, hat sich diesem „Zwang zum Perfektionismus“ angenommen – und schreibt einen Bestseller nach dem anderen: ob Verletzlichkeit macht stark, Die Gaben der Unvollkommenheit oder, ganz neu, Laufen lernt man nur durch Hinfallen. Dass ihre Bücher so gut ankommen, ist nicht verwunderlich. Sie lösen bei vielen Momente des Wiedererkennens aus. Wie das Gefühl, die Einzige zu sein, die nach einem langen Arbeitstag zu schlapp ist, um zum Yoga zu gehen. Oder es mal wieder als Letzte mitgekriegt zu haben, dass Grau längst passé ist und alles jetzt…

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Nr. 4/2016