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Philosophie

Ein totalitärer Denker

Im Jahr 2014 wurden Martin Heideggers »Schwarze Hefte« veröffentlicht. Sie zeigen vor allem eines: dass es an der Zeit ist, mit der Verteidigung seiner Philosophie aufzuhören

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von
Thomas Vašek
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Philosophie

Todtnauberg, September 1941. Hitlers »Vernichtungskampf« gegen die Sowjetunion ist in vollem Gange, die Einsatzgruppen führen systematische Massenerschießungen von Juden durch, die Nazis bereiten die »Endlösung« vor. In seiner Hütte im südlichen Schwarzwald sitzt Martin Heidegger, der Autor von »Sein und Zeit«, und zieht eine persönliche Zwischenbilanz des »planetarischen Krieges«, der die Menschheit immer tiefer in den Abgrund reißt. »Wir siegen jetzt zwei Jahre hindurch«, schreibt Heidegger in sein schwarzes Notizbuch. Es folgen kritische Anmerkungen zur militärstrategischen und weltpolitischen Situation, von denen der Philosoph meint, dass »unsere überall gut eingespielte Propaganda sich ihrer annehmen müsste, um ihnen rechtzeitig zu begegnen«. Heidegger fürchtet offenbar, das Kriegsgeschick könnte sich wenden. Die »Möglichkeiten des politischen Handelns« seien erschöpft.

Jenseits der gegnerischen Linien wittert Heidegger die Machenschaften eines allgegenwärtigen, womöglich übermächtigen Feindes: »Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland hinausgelassenen Emigranten, ist überall unfassbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenen Volkes zu opfern.«

Dieser abscheuliche Satz steht in Heideggers »Überlegungen«, besser bekannt als »Schwarze Hefte«, die im Jahr 2014 als Bände 94–96 der Heidegger-Gesamtausgabe erschienen sind. Und es ist bei Weitem nicht die einzige antisemitische Passage in diesem fast 1300 Seiten starken
Werk – einer Art Denktagebuch aus den Jahren 1931 bis 1941, das Heidegger erst nach seinem Tod veröffentlicht haben wollte, als Abschluss der Gesamtausgabe seines Werks. Die Veröffentlichung hat eine neue, eine weitere Heidegger- Diskussion ausgelöst. »Der Verdacht des Antisemitismus könnte die Heideggersche Philosophie mit großer Wucht treffen«, schreibt Peter Trawny, der Herausgeber der »Schwarzen Hefte«. Zugleich dränge sich die Frage auf, ob Heideggers Antisemitismus seine ganze Philosophie »kontaminiert«.

Seit über 50 Jahren wird nun über Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus gestritten, die einschlägige Literatur ist uferlos. Immer noch gibt es die unverdrossenen Verteidiger Heideggers, die zwischen »Person« und »Werk« trennen, um sein Denken zu retten. Doch diese Sicht lässt sich nicht länger aufrechterhalten. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob Heidegger ein Nazi war. Diese Frage ist geklärt. Martin Heidegger war nicht nur ein Nazi, sondern zumindest zeitweilig ein glühender nationalsozialistischer Revolutionär, der sich von der NS-Bewegung einen »neuen Anfang« erhofft hat, wie er in den »Schwarzen Heften« schreibt. Weithin bekannt ist auch, dass sich Heidegger nach 1945 nie direkt zum Holocaust geäußert hat. Dass er...

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Nr. 6/2014