Lesezeit 17 Min
Philosophie

Wer hat an der Zeit gedreht?

Sie gehört zu unserem Leben. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde. Wir können sie verstreichen lassen oder verschwenden, kaum abwarten oder als unerträglich lang empfinden. Aber es fällt uns schwer zu sagen, was sie eigentlich ist. Eine Annäherung an das Phänomen der Zeit

pixelparticle/shutterstock.com
von
Thomas Vašek
Lesezeit 17 Min
Philosophie

Plötzlich steht alles still, von einem Augenblick auf den anderen, als hätte jemand einen Film gestoppt. Autos halten in voller Fahrt, Fußgänger erstarren, Gespräche verstummen mitten im Satz. Flüsse stocken im Flussbett, kein Blatt schwankt im Wind. Selbst Planeten verharren in ihren Bahnen. Alles ruht, nichts bewegt sich. Die ganze Welt ist eingefroren, wie auf einem Foto, im ewigen Jetzt. All das würden wir jedoch nicht erleben. Wir könnten nichts wahrnehmen, keinen Gedanken fassen. Unser Blut würde in den Adern gerinnen, unser Herz aufhören zu schlagen. Das Ende der Zeit wäre das Ende der Welt.

Die Zeit ist eines der großen Rätsel unseres Daseins. Nichts scheint uns so vertraut wie die Zeit. Und doch ist nichts so dunkel, so ungreifbar, so mysteriös. Schon der heilige Augustinus (354-430) stand vor einem Paradox: "Was ist also Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht." Die Zeit begleitet uns ständig. Was immer wir tun, wir tun es in der Zeit. Welche  Bedeutung die Zeit für unser Leben hat, merken wir spätestens dann, wenn wir keine mehr haben. Und doch können wir nicht sagen, was Zeit ist. Wir können sie nicht direkt wahrnehmen. Wir wissen nicht einmal, ob die Zeit überhaupt existiert. Zwar messen wir "die Zeit" mit Uhren. Aber selbst diese Präzisionsinstrumente, an denen wir uns ganz selbstverständlich orientieren, sagen uns nicht, was wir da eigentlich messen. Die Uhr misst eine Dauer. Doch diese Dauer ist selbst wieder zeitlicher Natur. Zwar können wir sagen, wie spät es ist, dass "soundsoviele" Minuten seit einem Ereignis vergangen sind, dass in genau einer "Stunde" der Zug abfährt. Aber das sagt uns nichts über das Wesen der Zeit.

Wir wissen nicht, was Zeit ist. Aber wir kennen einige ihrer charakteristischen Eigenschaften, die unser Leben bestimmen. Die Zeit unterscheidet sich vom Raum. Im Raum können wir uns in alle Richtungen bewegen, in der Zeit nicht. Die Zeit hat offenbar nur eine Richtung, sie verläuft von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Wir können uns nur an vergan­gene Ereignisse erinnern, nicht aber an zukünftige. Unsere Handlungen beeinflussen die Zukunft, aber nicht die Vergangen­heit. Und Schmerzen haben wir lieber in...

Jetzt weiterlesen für 0,57 €
Nr. 3/2014