Lesezeit 15 Min
Philosophie

Der Kompass des Geistes

Woher wissen wir eigentlich, was wir wollen? Gibt es eine Instanz in uns, die es uns sagt? Oder was verstehen wir unter unserem Willen, der unsere Handlungen bestimmt? Und tut er das wirklich?

Alexander Image / Shutterstock.com
von
Thomas Vašek
und
Tobias Hürter
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Philosophie

Der menschliche Wille ist eine geheimnisvolle, eine gewaltige Kraft. Dank unserer Willensstärke können wir enorme Anstrengungen ertragen, schwierige Probleme meistern und sogar Krankheiten überwinden. Wo ein Wille ist, so heißt es, da ist auch ein Weg. Der Wille zeichnet uns als freie Wesen aus. In ihm erleben wir unser Selbst. Ohne unseren Willen könnten wir gar nicht handeln, ja nicht einmal morgens aufstehen – wir wären zur Passivität verdammt. Aber was ist der Wille überhaupt? Kann man ihn stärken, trainieren wie einen Muskel? Kann man Wollen wollen?

Unser Wille ist uns so selbstverständlich, dass wir ihn oft gar nicht bemerken. Im Alltag tun wir viele Dinge fast automatisch, wir folgen Gewohnheiten und Routinen, ohne lange darüber nachzudenken. Wenn wir etwa den Lichtschalter betätigen, dann tun wir das einfach. Und doch könnten wir gar nicht handeln, wenn uns der Antrieb, die Motivation dazu fehlte. Aber was genau ist es, das uns antreibt? Was bringt uns dazu, die Hand zum Schalter zu bewegen und das Licht anzumachen? Unser »Wille«, könnte man meinen. Doch unsere Antriebe können vielfältig sein. Oft ist es eine Emotion oder ein plötzlicher Impuls, manchmal eine Begierde, manchmal ein bewusster Entschluss. Mitunter wollen wir verschiedene Dinge zugleich. Oder wir wissen einfach nicht, was wir wollen. Die Sache mit dem Willen ist also kompliziert.

Die Philosophen der Antike besaßen vom Willen noch gar kein einheitliches Konzept. Für sie gab es das rationale Streben (boulesthai), den psychischen Antrieb (thymos) und das Begehren (epithymia). Aristoteles machte immerhin den Versuch einer Definition, er bestimmte die Willenswahl als »überlegtes Begehren von etwas, das in unserer Macht steht«. Damit erkannte der griechische Philosoph, was das Wollen vom bloßen Wünschen unterscheidet. »Wünschen« kann man sich alles Mögliche, zum Beispiel, eine Reise zum Mars zu machen. »Wollen« hingegen kann man nur das, was im Bereich der eigenen Möglichkeiten liegt. Den eigenen Arm kann man heben wollen. Dass eine andere Person den Arm hebt,…

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Nr. 1/2017