Lesezeit 20 Min
Philosophie

Das Rätsel Bewusstsein

Martine Nida-Rümelin ist Meisterin einer Kunst, ohne die es in der Philosophie nicht geht: dem sorgfältigen Umgang mit Begriffen. Wir sprachen mit der Geistesphilosophin über Bewusstsein und den Respekt vor erlebenden Wesen

Nik Merkulov/shutterstock.com
von
Tobias Hürter
und
Thomas Vašek
Lesezeit 20 Min
Philosophie

Es gibt nicht wenige Philosophen, die gern auf die Pauke hauen. Sie beeindrucken ihre Gesprächspartner mit bombastischen Begriffen oder barock gedrechselten Formulierungen. Manche von ihnen muss man wohl eher als Entertainer verstehen. Martine Nida-Rümelin gehört nicht zu diesen Philosophen. Wer mit ihr über Philosophie spricht, merkt von der ersten Sekunde an, dass es ihr ganz und gar um die Philosophie geht, und nicht im Geringsten um die Show. So geht es auch in unserem Gespräch mit ihr stracks zur Sache – in die Tiefen der Philosophie des Geistes. Es geht um die großen, heftig diskutierten Fragen dieses Gebiets: Haben unsere Erlebnisse eine subjektive Qualität, die über ihr physikalisches Substrat hinausgeht? Sind Geist und Körper eins? Wenn nein, wie hängen sie zusammen? Martine Nida-Rümelin hat eine Nichtstandard-Position zu diesen Fragen. Sie ist Dualistin, also der Überzeugung, dass Geist und Körper grundverschiedene Dinge sind.

Martine Nida-Rümelin ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Philosophie des Geistes, und eine der gründlichsten. Die Sätze brechen nicht aus ihr heraus, sie nimmt sich die Zeit, nach den richtigen Worten und Wendungen zu suchen. Von ihr kann man lernen, dass es in der Philosophie oft mehr auf die Feinheiten als auf den großen Wurf ankommt. Zuerst die Akribie, dann das Genie. Martine Nida-Rümelin wurde 1957 in München geboren. Mit ihrem Bruder Julian bildete sie eine Generation von Philosophen in einer traditionellen Künstlerfamilie. Sie studierte in München und begann dort – am berühmten »Stegmüller-Institut« der Ludwig-Maximilians-Universität, einer Hochburg der analytischen Philosophie – auch ihre akademische Laufbahn. Im Jahr 1999 wurde sie Professorin an der Universität von Fribourg in der französischen Schweiz. Dort, in den Bergen des Jura, trafen wir sie an einem herrlich klaren Herbsttag. Einem perfekten Tag für klare Gedanken.

 

Wenn man einen Menschen rein physikalisch beschreibt, seine chemische Zusammensetzung, seine Hormonpegel – eine vollständige körperliche Darstellung: Was verpasst man dann?

MARTINE NIDA-RÜMELIN: Ziemlich viel. Viele würden sagen, dass man damit noch nichts über die Erlebnisqualität gesagt hat. Ich würde sagen, es fehlt noch viel mehr. Man hat nämlich nichts über die Person gesagt. Man hat nur über ihren Körper gesprochen. Aus meiner Sicht ist das nicht dasselbe. Wir sind ja nicht nur Ansammlungen von Materie, sondern auch erlebende Wesen, und die kann man nicht einfach gleichsetzen mit diesen Ansammlungen von Molekülen, die unsere Körper sind.

Warum leitet sich das nicht aus der physikalischen...

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Nr. 2/2014