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Gesellschaft

Das Kleingedruckte einer lauten Zeit

Unserer Gesellschaft liegt ein ungeschriebener und doch gültiger Vertrag zugrunde, behaupteten einst Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau. In einer Ära von Terrorismus und Populismus steht dieser gemeinsame Nenner infrage. Er muss neu ausgehandelt werden. Nur wie?

By myself (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons
von
Tobias Hürter
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Gesellschaft

Es geschieht schleichend, und es ist ein bisschen unheimlich: Die Atmosphäre an Flughäfen ist angespannt, die Kontrollen werden härter. Und da drüben war doch früher keine Überwachungskamera, oder? Ganz allmählich rückt der Alarmstufenregler ins Rote – mit jedem Anschlag und jeder Terrorwarnung ein Stückchen weiter.
Das ist der Preis der Vorzüge eines Lebens in einer zivilisierten Gesellschaft: Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Wir lassen uns überwachen und dürfen uns dafür sicher fühlen vor Kriminalität und Terrorismus. Wir müssen Steuern bezahlen und vor roten Ampeln halten, wir dürfen niemanden schlagen, auch wenn der andere zuerst geschlagen hat – im Gegenzug bekommen wir soziale Sicherheit und Ordnung. Es ist ein erstaunlicher Handel – und ein zunehmend fragwürdiger. Philosophen haben einen Namen für ihn: den Gesellschaftsvertrag.

Niemand hat diesen Gesellschaftsvertrag je geschrieben oder gelesen. Niemand hat ihm durch ein Nicken, einen Handschlag oder eine Unterschrift zugestimmt, niemand kann ihn ohne Weiteres kündigen. Es ist eine unausgesprochene Vereinbarung, die man stillschweigend billigt, wenn man zu einem Mitglied unserer Gesellschaft heranwächst.

Als Erster entwickelte der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588–1679) in seinem Hauptwerk »Leviathan« (erschienen 1651) die Idee, dass unsere Gesellschaft von einem Vertrag zusammengehalten wird: An die Stelle der Naturgesetze treten kraft eines gemeinsamen Entschlusses die Gesetze der staatlichen Herrschaft. Mehrere Denker arbeiteten Hobbes’ Idee in verschiedene Richtungen aus, unter ihnen John Locke (1632–1704) und Immanuel Kant (1724–1804), vor allem aber Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), der darauf seine ganze politische Philosophie gründete.

In jüngster Zeit jedoch wird die Sache mulmig. Waren Politiker früher auf Ausgleich bedacht, stürzen sie sich heute mit…

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Nr. 3/2017