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Gesellschaft

Stimmt so. Oder nicht?

Trinkgeld zu geben kommt großzügig daher, ist in Wirklichkeit aber blinder Gehorsam, pure Gewohnheit oder maskierter Eigennutz. Diese Unsitte gehört abgeschafft! Nur wie?

Karuka/shutterstock.com
von
Tobias Hürter
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Gesellschaft

IMMER DIESER AUGENBLICK DES UNBEHAGENS: Es geht ans Bezahlen – »Wie viel gebe ich?« Im Restaurant, an der Bar, im Taxi, beim Friseur: Die Trinkgeldfrage stellt sich beinahe täglich – und immer wieder neu. Sie findet nie eine endgültige Antwort. Muss das sein? Warum fühlen wir uns in diesem Augenblick gedrängt, einem Fremden Geld zu geben, das wir ihm eigentlich nicht schulden, und wie ist mit diesem Druck gut umzugehen?

Das Diktat des Trinkgelds ist schließlich beiderseits unangenehm: der Zwang für die Geber, die Abhängigkeit für die Nehmer. Es wäre also allerseits wünschenswert, das Trinkgeld abzuschaffen. Doch das ist nicht so einfach. Trinkgeld ist »eine rechtlich nicht zu beanspruchende Vergütung einer Dienstleistung«, diese unübertreffliche Definition gab Rudolf Jhering, »Doctor der Rechte und der Philosophie, Geheimer Justizrath und Professor in Göttingen«, im Jahr 1884 in seiner Abhandlung »Das Trinkgeld«. Als eine »Sitte« bezeichnet Jhering das Trinkgeld: also als »eine allgemein übliche Art des Handelns« mit »social verpflichtender Kraft«. Heute würde man sagen: Trinkgeld ist eine kulturelle Norm. Keine juristische Norm also, denn seine normative Kraft entsteht nicht aus einem Gesetz, sondern aus etwas Tieferem: Es gehört zum Netz der Bedeutungen und Praktiken, das uns verbindet und zu zivilisierten Wesen macht. Daher lässt es sich auch nicht durch ein neues Gesetz abschaffen. Das kulturelle Netz muss umgewoben werden.

Trinkgeld hat eine lange...

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Nr. 3/2015