Lesezeit 14 Min
Gesellschaft

Es lebe die Stadt!

Sie ist laut, überfüllt und dreckig. Und doch gibt es für die meisten Menschen keinen besseren Ort zum Leben als die Stadt. Warum eigentlich?

Gigira / shutterstock.com
von
Greta Lührs
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Gesellschaft

Das Leben in der Großstadt ist toll. So viele verschiedene Menschen; alles ist in Bewegung, die Möglichkeiten sind unendlich. Man fühlt sich am Puls der Zeit, verpasst nichts, dreht sich mit auf dem großen Karussell. Klar, es ist ziemlich laut. Die Sterne sieht man nachts eher selten, morgens in der U-Bahn steht man eng zusammengequetscht mit Wildfremden und atmet ihre Ausdünstungen ein. Die Stadt kann unglaublich nerven. Aus jeder Ecke blinkt es, überall stehen Schilder, Passanten rempeln sich an, Autos hupen, es stinkt.

Die Stadt wäre nicht Stadt ohne diese Ambivalenz. Einerseits wollen mehr und mehr Menschen weltweit urban leben, fühlen sich angezogen von dem Versprechen nach Freiheit, Erfolg, Selbstverwirklichung, das die Stadt mit sich bringt. Andererseits sehnen sich die Städter nach der Ruhe und Idylle des Landlebens. Dabei ist die Stadt das Beste, was der Menschheit passieren konnte (noch vor dem Internet). Wieso? Weil Urbanität für ein selbstbestimmtes Dasein steht, das nie stillsteht, uns geistig fordert und in dem das Fremde kein Fremdkörper ist.

Urban bedeutet so viel wie »städtisch« oder »zur Stadt gehörend«. Der Städter ist weltmännisch, feinsinnig, stilvoll. Dadurch grenzt er sich vom Landbewohner ab, der eher als rustikal, einfach und plump gilt. Das klingt überheblich? Dieser Meinung war auch der erste Stadtsoziologe Georg Simmel (1858 –1918), der schrieb: »Es gibt vielleicht keine seelische Erscheinung, die so unbedingt der Großstadt vorbehalten wäre, wie die Blasiertheit.« Der Städter sei arrogant, herablassend, kurz: asozial. Das Wort »Blasiertheit« kommt aus dem Französischen und heißt Abstumpfung. Und die komme, so Simmel, von der Reizüberflutung der Stadt. Da ständig neue Eindrücke auf den Stadtbewohner einprasseln, kann er nicht mehr zwischen ihnen differenzieren. Alles verschmilzt zu einer tauben Masse,…

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Nr. 2/2016