Lesezeit 23 Min
Philosophie

Richard David Precht

„Wir treiben auf die Katastrophe zu.“

MARINA WEIGL
von
Hendrik Heisterberg
Lesezeit 23 Min
Philosophie

Zur Person

Richard David Precht, geboren 1964 in Solingen, stammt aus einem politisch linksgerichteten Elternhaus. Er studierte in Köln Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte und wurde 1994 zum Dr. phil. promoviert. Mit dem populärphilosophischen Sachbuch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ gelang ihm 2007 der Durchbruch. Zuvor schrieb Precht neben zwei Romanen und dem autobiografischen „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ (2005) auch sein erstes philosophisches Werk „Noahs Erbe – Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen“ (1997), das 2016 neu bearbeitet unter dem Titel „Tiere denken“ erschien. 2015 erschien der erste Band seiner dreiteiligen, sozial- und wirtschaftshistorisch geprägten Philosophiegeschichte „Erkenne die Welt“. Für seine TV-Sendung „Precht“ (ZDF) erhielt er den Deutschen Fernsehpreis.

Düsseldorf. Man muss schon genau hinsehen, um in dem Mann, der mit kinnlangem Haar und Mantelkragen am Fenster des Cafés vorbeieilt, den Popstar unter den Philosophen zu erkennen. Die Kaffeemaschine ist ausgefallen, aber Richard David Precht braucht nicht mehr als eine gut improvisierte Tasse, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Eigentlich soll es um Wirtschaftsethik gehen, aber da in Zeiten der globalen Digitalisierung alles mit allem zusammenhängt, wird es ein Gespräch über seine Rolle als öffentlicher Intellektueller, die Ehrlichkeit von Spitzenmanagern nach dem zweiten Glas Wein, Laborfleisch und drohende soziale Katastrophen.

Herr Precht, als Sie diesem Magazin vor sieben Jahren ein Interview gaben, war Ihnen mit „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ gerade Ihr erster Bestseller gelungen. Inzwischen gibt es fünf weitere. Was hätte der Richard David Precht von heute dem damaligen zu sagen?

2009 hatte ich natürlich nicht die Vorstellung, dass dieser öffentliche Erfolg so lange anhalten würde. Es gibt nur ganz wenige Autoren, die mit Sachbüchern regelmäßig in den Bestseller-Listen auftauchen. Meist handelt es sich dabei um Leute, die aus dem Fernsehen bekannt sind.

Das sind Sie auch.

Meine Fernsehsendung läuft sechsmal im Jahr sonntags zu einer Zeit, in der nur Nachtwächter zuschauen. Sie bindet nicht viel Publikum. Deswegen bin ich sehr überrascht, dass das so lange so gut funktioniert.

Als prominenter Philosoph sind Sie in Deutschland einsam auf breiter Front. Warum betreiben so wenige Intellektuelle öffentlich Aufklärung?

Ein öffentlicher Intellektueller zu sein, ist ja nicht an Studienfächer gebunden. Natürlich gibt es Leute wie den Sozialpsychologen Harald Welzer, der eine solche Aufklärungsfunktion hat. Auf ihre Art und Weise haben das auch Roger Willemsen oder Frank Schirrmacher getan, und es werden mit Sicherheit Neue nachkommen. Aber wenn ich es mit einem Land wie Frankreich vergleiche oder in die deutsche Vergangenheit der Sechziger- oder Siebzigerjahre gucke, dann sind es in der Tat sehr wenige geworden.

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Nr. 20/2016