Lesezeit 17 Min
Gesellschaft

Todesasche

Nach der Explosion einer amerikanischen Wasserstoffbombe im Pazifik kehren 23 japanische Fischer verstrahlt in ihre Heimat zurück. Ein Aufschrei geht durchs Land: Es ist das dritte Mal, dass Japaner Opfer radioaktiver Verseuchung werden. Für die Fischer beginnt ein jahrelanger Leidensweg. Eine Begegnung mit Überlebenden

By United States Department of Energy [Public domain], via Wikimedia Commons
von
Sandra Schulz
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Gesellschaft

Seit über 50 Jahren hat sich Matashichi Oishi, der Kontaminierte, der Reinigung verschrieben. Eng ist es bei ihm zu Hause, vorne stehen die Waschmaschinen, hängen die weißen, frisch gebügelten Hemden, überzogen mit Klarsichtfolie, makellos, bereit zur Abholung, im Gang ein Waschbecken, hinten die Küche, die gleichzeitig Wohnzimmer ist, die Möbel haben ihm treue Kunden geschenkt als Dank für seine Arbeit im Dienst der Sauberkeit. Am Kühlschrank klebt ein Familienfoto: Ehefrau, Kinder, Enkel, gesund und fröhlich, Oishi in der Mitte. Das Glück kam spät. Sein erster Sohn wurde tot geboren, dreimal platzte die Hochzeit der Tochter, als die Verwandten des Bräutigams von Oishis Vergangenheit erfuhren. 

Yoshio Misaki, der Befleckte, wohnt im Haus des Schwiegersohns, stattlich ist es, sieben bärtige Zwerge mit Zipfelmützen flankieren den Eingang. Im Garten ein Zierbaum, im Flur Porzellanhündchen, Holzbuddha und Seidenteppich, doch heraus kommt ein kleiner magerer Mann mit Zahnlücken, Bartstoppeln und Haarbüscheln in den Ohren, die Trainingshose ausgebeult und schlabberig. Sie sind alt geworden, der ehemalige Gefriergeselle Matashichi Oishi, 73, und sein früherer Boss, der Fischereimeister Yoshio Misaki, 82. Beide saßen sie damals im selben Boot. Beide haben sie jahrzehntelang geschwiegen über das, was ihnen auf dem Schiff „Fukuryu Maru“ widerfuhr. Jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, reden sie. Oishi bereitwillig, Misaki widerwillig. „Über diesen Fall weiß ich am besten Bescheid. Man muss diesen Fall tatsachengetreu wiedergeben“, sagt Misaki. „Ich möchte die Wahrheit wissen“, sagt Oishi.

Plötzlich färbte sich die Welt orange, orange der Himmel, orange das Meer, und die Männer an Deck schwiegen, ehrfürchtig und erschrocken. Ein Meteorit, dachte Matashichi Oishi, vielleicht ist irgendwo ein Meteorit eingeschlagen. Andere glaubten, die Sonne sei aufgegangen, im Westen. Später regnete dieses „weiße Zeug“ auf sie herab, und die Fischer sahen einander an und fragten: Schnee? In der Südsee? Das „weiße Zeug“ sammelte sich an den Rändern des Schweißbands auf ihrem Kopf, es rutschte in den Ausschnitt ihrer Unterhemden und sammelte sich am Hosenbund und auch an den Bündchen ihrer Handschuhe. Es war Asche. Bald waren die Schiffsplanken bestäubt, jeder Schritt hinterließ Fußspuren. Auch im Gesicht klebte die Asche, drang ein in Nase und Ohren. Oishi fuhr sich mit der Zungenspitze...

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No. 66 - Feb./März 2008