Lesezeit 19 Min
Philosophie

Mir doch egal

Die Gletscher schmelzen, die AfD ist im Bundestag, in Syrien herrscht Krieg. Kann uns das egal sein? Wohl kaum. Und was wiederum sollte uns sogar egal sein? Was unterscheidet Gelassenheit von Gleichgültigkeit? Und was überhaupt sagen die Stoiker dazu?

dimitrisvetsikas1969 / pixabay.com
von
Greta Lührs
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Philosophie

Wissen Sie, wie der amtierende Weltmeister im Baumstammwerfen heißt? Wahrscheinlich nicht, aber ebenso wahrscheinlich ist auch, dass es Ihnen völlig egal ist. Diese Information hat keinerlei Relevanz für Sie, Sie kommen bestens ohne sie zurecht. So leicht fällt es uns allerdings in den wenigsten Fällen, etwas für »egal« zu erklären. Vielmehr stehen wir häufig vor so vielen Aufgaben, dass wir uns kaum entscheiden können, welche gerade die wichtigste ist. Wir wünschen uns mehr Gelassenheit und fürchten uns zugleich vor einer Welt, in der unseren Mitmenschen das Schicksal anderer gleichgültig und jeder sich selbst der Nächste ist. Wir wären gern unabhängiger und möchten zugleich Teil einer Gesellschaft sein, in der man sich füreinander interessiert. Was bedeutet es also zu sagen, etwas sei einem egal? Und können wir überhaupt etwas darüber sagen, was uns egal sein kann?

Der Duden kennt zwei verwandte, jedoch unterschiedliche Bedeutungen des Wortes »egal«. Einerseits nutzen wir es im Sinne von gleichartig: Zwei Dinge sind gleich gut, gleich schlecht, sie nehmen sich nichts, sind praktisch austauschbar. Werden Sie im Restaurant gefragt, ob Sie Rotoder Weißwein trinken möchten, und Sie antworten, das sei Ihnen egal, kann das bedeuten, dass es für Sie keine Rolle spielt, welcher Wein im Glas landet – beide werden Sie gleichermaßen zufriedenstellen. Besonders gut zum Ausdruck kommt diese Bedeutung im französischen »Égalité«, das als Teil der Parole der Französischen Revolution die Gleichheit als gesellschaftlichen Wert preist. Diese Bedeutung steckt auch im Konzept des Egalitarismus. Damit wird jene Gesellschaftstheorie bezeichnet, die die Gleichheit aller Menschen zum obersten Ideal erklärt und befördern möchte.

»Alle Menschen sind frei und gleich«, heißt es auch in der Charta der Menschenrechte, und dort bedeutet Gleichheit vor allem, dass kein Mensch besser oder schlechter ist als ein anderer. Differenzen wie Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht oder Weltanschauung dürfen laut dieser Erklärung keine Rolle spielen, sie sind für die Würde und die Rechte des Menschen egal.

Etwas für egal zu halten, kann allerdings auch heißen, dass es einem schlicht gleichgültig ist. Im Alltag meinen wir diese Bedeutung wahrscheinlich häufiger, wenn wir sagen, etwas sei uns egal. So wird der Kellner im Restaurant einen eventuell pikiert ansehen, wenn man seine Frage nach der Weinpräferenz mit »ist mir egal« beantwortet. Er wittert in dieser Antwort keinen besonders egalitären Geschmack, sondern Ignoranz – wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht. »Ist mir egal« kann bedeuten, dass mir diese…

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Nr. 1/2018