Lesezeit 16 Min
Wirtschaft

Von Punk zu Bank

Die Anarcho-Währung Bitcoin war als Frontalangriff auf das Bankensystem gedacht. Nun könnte sie sich tatsächlich daranmachen, den Finanzmarkt zu revolutionieren – wenn auch ganz anders als geplant. Eine Geschichte über Glücksritter, Finanzjongleure – und die Zukunft des Geldes.

ULF J. FROITZHEIM
von
Ulf J. Froitzheim
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Wirtschaft

Dies ist eine Geschichte von mysteriösen Start-ups ohne Adresse, von selbst gedrucktem Geld, von einem 21-Jährigen Mathegenie, das die Banken auf den Kopf stellen will, von einem Gründer, der sein Smartphone trägt wie die Cops in Krimis ihre Pistole – und von Geldgebern, die Millionen zahlen, um in dieser Szene dabei zu sein. Dies ist eine Geschichte über Bitcoin und darüber, wie eine oft tot geglaubte Idee das Finanzsystem verändern könnte.

Fangen wir am besten bei Blockstream an: Die Liste der Investoren liest sich wie ein Who’s who des Silicon Valleys: Reid Hoffman und Max Levchin (PayPal, LinkedIn, Yelp), Vinod Khosla und Eric Schmidt (Sun Microsystems; Google), Jerry Yang (Yahoo) und Ray Ozzie (Lotus Notes, Microsoft) sowie der ehemalige Karstadt-Abenteurer Nicolas Berggruen. Sie legten opulente 21 Millionen Dollar Startkapital zusammen. Doch wo genau der Firmensitz ist, lässt sich kaum herausfinden. Spuren führen nach Montreal, enden dort aber in einer Anwaltskanzlei und einer UPS-Filiale. Existiert das Start-up nur in der Cloud, als lose Kooperation verstreuter Einzelgänger?

Das würde passen. Blockstream speichert Geschäftsvorgänge mit einer auf Bitcoin aufsetzenden Technik. Und in der Bitcoin-Szene sind Freiheit, Dezentralität und Anonymität Fixpunkte im Wertesystem. Selbst über den Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto ist praktisch nichts bekannt. Gewiss ist nur, dass er ein völlig neues Geldsystem schaffen wollte. Unmittelbar nach dem Crash der Investmentbank Lehman Brothers stellte er die Idee für ein offenes Peer-to-Peer-Netz online, dessen Teilnehmer sich neue „Münzen“ verdienen können, indem sie sich gegenseitig auf die Finger schauen. Die Idee faszinierte Netzaktivisten verschiedenster Couleur – von libertären Hardlinern über Occupy-Autonome und Cypherpunks bis zu Verschwörungstheoretikern.

Nakamotos Prinzip hieß „trustlessness“: Traue keinen Menschen oder Institutionen, sondern nur Open-Source-Algorithmen und der Crowd. Damit war theoretisch der Weg frei für eine globale Währung unter Umgehung der Banken, die sich damals in eine tiefe Vertrauenskrise manövriert hatten.

Nun sind die Geldinstitute allerdings dabei, den Spieß umzudrehen: Sie reizt nicht so sehr das Kunstgeld an sich, sondern das…

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Nr. 10/2015