Fehlermeldung

Sie müssen sich anmelden um die Seite sehen zu können.
Lesezeit 35 Min
Technik

Achtung, Strom von unten

Früher produzierten Großunternehmen den Strom, heute sind immer mehr Bürger daran beteiligt. Die Energiebranche muss sich neu erfinden.

MATHIS REKOWSKI
von
Katja Scherer
,
Christian J. Meier
,
Sascha Rentzing
,
Eva Augsten
und
Jan Guldner
Lesezeit 35 Min
Technik

Fokus: Dezentrale Energie

Trend: Die Energieversorgung wird vielfältiger, kleinteiliger und komplizierter von Katja Scherer

Selbstversorger: Immer mehr Menschen erzeugen ihren Strom im Heimkraftwerk von Christian J. Meier

Netzausbau: Die Umrüstung der Verteilnetze könnte einige Hochspannungstrassen sparen von Sascha Rentzing

Stromkosten: Energieversorger werden Kunden künftig mit Pauschalpreisen locken von Eva Augsten

Netzstabilität: Mit geschickter Verbrauchssteuerung lassen sich Systemschwankungen ausgleichen von Jan Guldner

Leitenergie: Strom entwickelt sich zum neuen Universal-Energieträger von Katja Scherer

Großverbraucher: So können Industriebetriebe zur Energiesicherheit beitragen von Jan Guldner

Politik: Abgaben und Bürokratie stehen der Energiewende im Weg von Eva Augsten

Eine Holzbank vor der Tür, Blumen auf der Fensterbank, weiße Gardinen im Fenster – das ist das typische Bild einer Dorfidylle. Oder? Na ja, fast. Es fehlen noch ein paar dunkelblaue Solarmodule auf dem Hausdach. Wer heute in deutschen Vor- und Kleinstädten unterwegs ist, stellt schnell fest: Photovoltaikanlagen gehören dort inzwischen so selbstverständlich zum Straßenbild wie Gartenzwerge im Vorgarten.

Ob mithilfe von Sonne, Wind oder Biomasse: Immer mehr Menschen produzieren ihre Energie selbst. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zählt in Deutschland derzeit rund 1,55 Millionen Anlagen für erneuerbare Energie. Sie sind in aller Regel dezentral, speisen ihre Energie also nicht ins Hochspannungs-, sondern direkt ins Mittel- oder Niederspannungsnetz ein, oder sie dienen der Eigenversorgung.

„Der Anteil dezentraler Anlagen wird weiter steigen“, sagt Sabine Löbbe, Professorin für Energiemärkte am Reutlinger Energiezentrum. Die Produktion ist längst nicht mehr das Privileg weniger Großkonzerne. Inzwischen gibt es ganze Dörfer, die sich selbst versorgen, wie das brandenburgische Feldheim. Neue Anbieter wie das Unternehmen Beegy, hinter dem unter anderen der Mannheimer Energieversorger MVV steckt, befeuern den Trend. Sie bieten ihren Kunden Komplettlösungen aus Photovoltaikanlage, Batteriespeicher und Installation an. Der Strom, den eine Familie damit selbst verbraucht, ist umsonst; ins Verteilnetz eingespeister Strom wird per Gesetz vergütet. Die Firmengründer versprechen Kosteneinsparungen von bis zu 50 Prozent.

Auch Gigant RWE scheint sich mit dem neuen Zeitalter abgefunden zu haben: Im Projekt „Smart Operator“ testet der Konzern, wie Strom, den Solaranlagen in einer Siedlung erzeugen, direkt vor Ort verbraucht oder gespeichert werden kann. „Wir werden vom Versorger zum Umsorger, der alle Bürger in einem neu geschaffenen Energiesystem zusammenfasst“, sagte RWE-Chef Peter Terium im April vor dem Wirtschaftsclub Düsseldorf. Sogar Großverbraucher wie Autofirmen oder Betonwerke könnten dazu übergehen, einen großen Teil ihres Energiebedarfs selbst zu decken. Die Energie wird dort verbraucht, wo sie erzeugt wird. Für die Nutzer ist das gut, weil sie so günstiger an Energie kommen. Für das bestehende Energiesystem aber ist es eine gewaltige Herausforderung. Nicht nur, weil eine so große Zahl an Stromquellen deutlich schwieriger zu koordinieren ist als einige Großkraftwerke. Sondern vor allem, weil die neuen Anlagen ganz anders arbeiten. Früher gab es im Stromnetz eine klare Hierarchie: Der Strom floss von den Kraftwerken ins Höchst- oder Hochspannungsnetz, dann in die Verteilnetze und dann an die Haushalte. Nun fließt Strom aus dezentralen Anlagen direkt ins Verteilnetz und muss von dort teilweise sogar ins Hochspannungsnetz geleitet werden.

1,55

Millionen Produktionsanlagen für erneuerbare Energie gibt es in Deutschland.

Davon sind

1,5

Millionen Photovoltaikanlagen

23 600

Windenergie-Anlagen an Land

13 600

Biomasse-Anlagen

117 000

Gigawattstunden…

Jetzt weiterlesen für 0,83 €
Nr. 7/2016