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Ohne Verfallsdatum

Ist Altern eine Krankheit? Aber sicher, sagen Wissenschaftler – und zwar die schlimmste von allen. Ihr kühner Traum: ein Medikament, das den Alterungsprozess verlangsamt – oder gar aufhält.

WERNER AMANN / SPIEGEL WISSEN
von
Eva-Maria Schnurr
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Statistisch gesehen hat Mathias Brandt noch etwa 39 Jahre Lebenszeit vor sich. Doch wenn alles so läuft, wie er es plant, werden es noch 460 sein. Mindestens. "Wir sind die erste Generation, die die Unausweichlichkeit des Alterns und damit den Tod selbst überwinden kann. Oder die letzte, die es gerade nicht schaffen wird. Hopp – oder top", sagt er.

Große Worte? Und wenn schon: Es geht um viel. Darum, wie lange sich die Jugend festhalten lässt, die Kraft, die Frische, die Energie. Wie weit man das Leben ausdehnen kann. Wie viele Jahre extra zu gewinnen sind, über alle Wahrscheinlichkeiten hinaus. Am Ende geht es um alles. Es geht um Leben oder Tod.

Vor fünf Jahren hörte Brandt in Los Angeles von den Ideen kalifornischer Langlebigkeits-Visionäre wie Ray Kurzweil, Erfinder des Flachbettscanners und Leiter der technischen Entwicklung bei Google. Der plant, kurz gesagt, sein Gehirn irgendwann auf eine Festplatte zu laden und bis dahin mithilfe von Vitaminen, Hormonen und spezieller Ernährung durchzuhalten.

Oder Aubrey de Grey. Der gebürtige Brite will den Alterungsprozess mit biotechnologischen Mitteln rückgängig machen, seine "SENS Research Foundation" sammelt und verteilt Forschungsgelder dafür.

Nach Ansicht solcher Anti-Aging-Optimisten ist der erste Mensch, der 500 Jahre oder älter wird, jetzt schon geboren. Brandt war sofort begeistert: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwann der Tag kommt, an dem ich Lust habe, chronisch krank und gebrechlich zu sein. Diesen Tag will ich unter Einsatz meiner Intelligenz nach hinten schieben." Seither ist er der "Longevity" auf der Spur, der Frage, wie er das Altern möglichst weit hinauszögert, möglichst lange lebt.

Brandt ist jetzt 40, schlank, fast schlaksig, er sieht nicht jünger aus, aber das kann auch am Bart liegen. Für ein Treffen hat er das Soho House vorgeschlagen, hier ist er fast täglich, wenn er in Berlin ist. Er ist Ingenieur, Unternehmer, was mit Internet. Ohne Nachfrage bringt der Kellner seinen Kaffee mit Sahne statt mit Milch.

Viel Fett ist Teil des Ernährungsplans, den Brandt sich auferlegt hat. Dazu kommt ein sorgfältig austariertes Pensum an Sport und Nahrungsergänzungsmitteln, Meditation, Fastenzeiten, Saunagängen, viel Schlaf und bald wohl auch Testosteron. Unter anderem. Mit den richtigen Mitteln ist das Altern heilbar wie eine Krankheit, davon ist Brandt überzeugt.

Es könnte der Anfang eines Science-Fiction-Romans sein, aber im Grundsatz würden viele Wissenschaftler ihm zustimmen. "Wir müssen die rosaroten Schleier der Tradition beiseite ziehen und Altern als das betrachten, was es ist: die größte Krankheit von…

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Nr. 3/2017