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Gesellschaft

Mama ruft per App zu Tisch

Mit ihrem Smartphone surfen viele Jugendliche ständig im Netz. Dagegen kommen Eltern am besten an, indem sie ihre eigenen Gewohnheiten ändern.

Angela Waye / shutterstock.com
von
Jan Friedmann
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Gesellschaft

Internetsucht und Wasserknappheit sind zwei globale Geißeln. Was liegt näher, als beide auf einmal zu bekämpfen? Das dachten sich jedenfalls die PR-Strategen des Uno-Kinderhilfswerks und boten eine ziemlich abstruse Spendenkampagne an.

Das im Frühjahr abgeschlossene "Unicef Tap Project" funktionierte so: Wer denkt, dass er zu viel an seinem Smartphone herumfummelt, der kann sich von der Projektseite eine App herunterladen. Die überwacht den Zugriff und löst nach ein paar Minuten Enthaltsamkeit eine Spende von Sponsoren wie Armani an Projekte zur Aufbereitung von Trinkwasser aus.

Die Kampagne richtete sich an Jugendliche, sie sollten die abgesparten Minuten verwenden, um sich als Fundraiser zu betätigen. "Millionen Kinder rund um den Erdball haben kein sauberes Trinkwasser", heißt es auf der Unicef-Website. Dieser Mangel sei "nicht nur unbequem, sondern tödlich".

Ihr beklagt euch über eine fehlende WLAN-Verbindung, und anderswo verdursten Kinder: In ihrem moralisierenden Subtext zwischen Technikskepsis und Technikglauben repräsentiert die Kampagne gut die Debatte um die zunehmende Onlinepräsenz von Kindern und Jugendlichen.

Da sind einerseits die Mahner und Warner. Für sie ist das Internet ein Ort, an dem Gewalt und Pornografie lauern. Vom Computerspielen führt ihrer Ansicht nach der Weg direkt in die Sucht, zum Schulversagen und dann gar zum Amoklauf.

Auf der anderen Seite stehen die Apologeten der Spiele- und Softwareindustrie. Sie loben Smartphones und Tablets als Instrumente, um die Welt zu verbessern. Eine Laptop-Klasse ist für sie moderne Pädagogik. Alles neu und alles easy, wer nicht mitzieht, der ist von gestern.

Und die Eltern? Sie sind verunsichert. Sie ärgern sie sich über den maulfaulen Nachwuchs zu Hause, der nicht mehr vom Bildschirm wegkommt, und sie befürchten, dass die Kinder ihr Leben nicht in den Griff bekommen werden. Gleichzeitig denken sie, dass ihre Kinder sich heute mit digitaler Technik auskennen müssen. Außerdem sind Eltern selbst fasziniert von einer neuen App oder der Tiefenschärfe der Handykamera.

Und die Kinder und Jugendlichen selbst? Für die meisten von ihnen ist das Smartphone der wichtigste Gegenstand in ihrem Alltag. Sie halten Kontakt mit ihren Freunden, tauschen Fotos und Nachrichten aus, organisieren Termine, schauen Filme.

84 Prozent der 12- bis 13-Jährigen besaßen 2014 laut dem IT-Branchenverband Bitkom ein Computerhandy, bei den 10- und 11-Jährigen waren es 50 Prozent.

"Die zentrale Entwicklung der vergangenen Jahre war die Entwicklung des Mobiltelefons zu einem internetfähigen Gerät", sagt Thomas Rathgeb, Leiter der Abteilung Medienkompetenz bei der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg. "Dadurch existieren im Alltag kaum noch…

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Nr. 4/2016