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Gesellschaft

Weniger Ausrufezeichen wagen

Das „!“ ist schwer in Mode in Deutschland. Denn unsere Art, miteinander zu reden, ist unduldsamer geworden. Das Rufzeichen passt ideal zu dieser gereizten Kommunikation. Es tut uns aber nicht gut.

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von
Frank Vollmer
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Gesellschaft

Siebzehn Ausrufezeichen – das ist für Til Schweiger das höchste der Gefühle. Genau so, mit „17 Ausrufezeichen!“, kommentierte der Schauspieler nämlich vor wenigen Tagen im sozialen Netzwerk Facebook eine Kritik seines neuesten „Tatorts“. Den mittellangen Text kann er nicht gemeint haben; der kommt nur (nur?) auf sieben Ausrufezeichen. Nein, 17 Rufzeichen sind für Schweiger offenbar Ausdruck größter Wertschätzung – Schachspieler kennzeichnen sehr gute Züge im Protokoll mit „!!“, Schweiger aus seiner Sicht sehr gute, also wohlwollende Texte eben mit „!!!!!!!!!!!!!!!!!“.

Das Ausrufezeichen ist gerade schwer in Mode in Deutschland, nicht nur bei Til Schweiger und leider nicht nur in Sachen „Tatort“. Das Land ist aufgewühlt, seit mehr als eine Million Flüchtlinge gekommen sind, und an Silvester sind nicht wenige offenbar übergriffig geworden gegen deutsche Frauen. Die Flüchtlingskrise strapaziert unsere Weltoffenheit. Der öffentliche Diskurs bildet diese Strapazen getreulich ab.

Der Wille zu wirklichem Austausch auch über fundamental verschiedene Meinungen schwindet. Deutschland ist unduldsamer geworden, gereizter. Das Ausrufezeichen symbolisiert diese Malaise. Schweiger selbst postete bei Facebook, als er Gegenwind bei seinem Vorhaben bekam, auf eigene Faust ein Flüchtlingsheim zu bauen, den denkwürdigen Satz: „Ich scheiss auf euch und zieh mein Ding durch!!!!“ – 42 der 678 Zeichen des Posts, zu dem dieser Satz gehörte, waren Rufzeichen.

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18.01.2016