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„Stets war da dieses Gefühl: Gleich tritt er durch die Tür“

Es gibt Momente, in denen das Leben stillsteht und man alles infrage stellt. Wie macht man weiter, wenn nichts mehr ist, wie es mal war? Vor fünf Jahren nahm sich Julias (30) Vater das Leben

Photo by Siim Lukka on Unsplash
von
Sörre Wieck
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Um vier Uhr morgens standen plötzlich meine Mutter, mein Bruder und mein Freund vor mir. Ich arbeitete damals als Studentin in einem Club, nahm Jacken an der Garderobe entgegen. Beim Anblick meiner Familie neben den tanzenden Leuten wusste ich sofort: Da ist etwas passiert. Vier Wochen zuvor hatten die Ärzte bei meinem Papa Krebs entdeckt, ein unheilbares Kieferkarzinom. „Ist etwas mit meinem Vater?“, fragte ich meinen Freund. Er nickte. „Ist er gestorben?“ Er nickte wieder. Ich hörte noch „Selbstmord“ und „Badewanne“, bevor mir jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Als wir heimfuhren, war mein Kopf wie in Watte gepackt. Stimmen, Geräusche – alles drang nur gedämpft zu mir durch. Hatte es Hinweise gegeben? Mittags war er noch bei mir gewesen. Er wollte mich unbedingt sehen, obwohl ich erkältet war. Als er zur Verabschiedung den Arm um mich legte, wendete ich mich ab – aus Angst, ihn anzustecken. Hätte ich gewusst, dass es ein Abschied für immer sein würde…

Meine Mutter hatte seine Leiche nach dem Einkaufen gefunden. Als wir nach Hause kamen, war die Kripo schon weg. Vor dem Bad klebte noch schwarz-gelbes Absperrband. „Ich möchte es sehen, sonst glaube ich es nicht“, bat ich Mama – ein Satz, den ich noch oft sagen sollte. Sein Körper lag schon in der Gerichtsmedizin, aber die Badewanne war noch voller Blut, der Boden übersät mit Glasscherben. Wie konnte er sich, wie konnte er uns das antun? Uns diese Bilder im Kopf hinterlassen? Mich alleine…

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Nr. 4/2017