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Robinsons Insel

Hawaii besteht aus acht Hauptinseln, sieben davon sind Touristenattraktionen. Nur nicht Niihau. Seit Jahrzehnten erlauben die Besitzer, die Brüder Keith und Bruce Robinson, keine Besuche. Angeblich wohnen auf Niihau 150 Ureinwohner ohne Strom, ohne fließend Wasser, ohne TV und ohne Telefon, abgeschnitten vom Rest der Welt

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von
Dimitri Ladischensky
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Die Insel, über die ich fahre, muss ich nicht beschreiben, denn sie ist jedem von uns schon unzählige Male begegnet. Immer wenn in Filmen eine Paradiesinsel mit gezackten Bergen und grünen, von schäumenden Flüssen durchzogenen Schluchten auftaucht, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach die Hawaii-Insel Kauai sein. Wer „Avatar“, „Jurassic Park“, „Herr der Fliegen“ gesehen hat, hat Kauai gesehen.

Aber die Insel, auf die ich will, die Nachbarinsel, die vor mir aus dem Meer in den Morgendunst ragt, die kennt keiner, die hat noch niemand aus der Nähe gesehen. Niihau, die „verbotene Insel“. Von Niihau gibt es nur ein paar Helikopteraufnahmen. Eine wüstenähnliche Insel, von schäumender Brandung umgeben. Wer mit Google Earth heranzoomt, erkennt ein paar Häuser, ansonsten viel Sand.

Der Rest ist Romantik. „150 Einwohner leben hier seit 1915 auf eigenen Wunsch fast wie Robinson Crusoe“, wähnt eine Reiseagentur. „Traditionelle hawaiianische Lebensweise steht anstelle von Fortschritt und Technologie. Ohne Stromnetz, Telefon, Auto, Geld oder ärztliche Versorgung wird auf Niihau der Alltag gemeistert. Als Zahlungsmittel dienen Muscheln.“

Eine Zeitkapsel. Ein lebendes Museum.

Die Insel Niihau gehört den Brüdern Keith und Bruce Robinson, 72 und 71 Jahre alt. Nur auf Einladung der beiden darf man sie betreten, und die beiden laden so gut wie keinen ein.

Kauai und Niihau sind Zwillinge, die unterschiedlicher nicht sein können. Die eine grün, die andere trocken, die eine Touristenmagnet, die andere unberührt. Auf der einen bin ich, auf die andere will ich.

Angefangen hat alles mit einer dünnen, brüchigen Greisenstimme am Telefon. Ich hatte die Nummer eines Unternehmens namens Niihau Helicopters gewählt. „Sie wissen, dass ich rechtsextreme Ansichten vertrete?“, sagte dann eines Morgens Keith Robinson. Ob das in Ordnung sei, steckte als Frage dahinter. Nicht, dass ich enttäuscht sei, wenn ich den langen Weg um die Welt anträte. Natürlich ist das in Ordnung. Extreme Insel, extremer Charakter, extreme Ansichten. Er erzählte mir, dass die Einwohner von Niihau noch mit Messern jagen und mit Speeren auf Fischfang gehen. Ich fragte ihn, ob ich ihm etwas aus Deutschland mitbringen soll. Irgendwelche landwirtschaftlichen Geräte? Ich hatte gelesen, dass er ein Pflanzennarr ist.

Einige Wochen später holt er uns vom Flughafen von Kauai ab, mich und den Fotografen Jan Windszus. Auf die Frage in meiner letzten Mail, ob ich nach Niihau könne, hat er nicht geantwortet. Immerhin hat er ein klares Nein vermieden. Und ich habe ein halbes Ja…

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No. 103 - April/Mai 2014