Lesezeit 20 Min
Fernweh

It’s a short way to the pool deck if you wanna Rock ’n’ Roll

Der Titel dieser Geschichte – frei nach AC/DCs Hard-Rock-Hit – könnte auch das Motto der Kreuzfahrt namens „Shiprocked“ sein. Wichtig ist vor allem die Bordmusik: hart und laut. Bericht einer Karibikreise, bei der nicht nur das Meer unendlich blau war

von Visitor7 (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
von
Martina Wimmer
Lesezeit 20 Min
Fernweh

Lack Of Communication (Ratt, 1984)

Die ersten Seemeilen einer Schicksalsgemeinschaft, in der nicht alle wissen, was eine Mottokreuzfahrt ist 

Es ist gemeinhin ein erhabener Moment, wenn ein Passagierschiff aus dem Hafen läuft. Die Leinen los, das Ufer schwindet, in die Ferne schweift der Blick, die Hoffnung. Der Mensch an Bord kann sich dem schwer entziehen, auch wenn er nur kurz Urlaub macht, bei einer Kreuzfahrt, fünf Tage, westliche Karibik, Jamaika, Grand Cayman und das blaue Meer.

„Poesia“ heißt das Schiff, das klingt verträumt und italienisch; dort, wo es ablegt, quert eine sechsspurige Straße das Wasser, am Ufer Hotelkästen in Beton gegossen, ein paar Palmen, das Passagierterminal wie eine Verladestation: Fort Lauderdale, auf Wiedersehen.

Ein älteres Paar lehnt an der Reling auf dem zweiten Oberdeck, entspannt, zufrieden, die Haltung sagt: Wir haben es verdient. Gleich neben ihnen hängt ein kleiner Lautsprecher, Musik fürs Gemüt schafft unvergessliche Momente, wer Ferienglück auf See verkauft, weiß um den klingenden Wiedererkennungswert. Man bleibt italienisch und elegisch, das Schiff bewegt sich, Andrea Bocelli singt „Con te partirò – Time to say goodbye“. Doch das Glück, die Seufzer, sie währen nur ein paar Sekunden, ein tragischer Irrtum, dann hebt es die Herrschaften an der Reling aus den Schuhen.

„ARE YOU READY TO ROCK ’N’ ROLL????!!!!“ Ein markerschütternder Schrei, ein Gitarrenakkord von der Gewalt eines Schwertransports, ein Donnerschlag auf die Basstrommel, das Wasser im Pool zittert. Hinter dem Rücken der Ahnungslosen, ein Deck tiefer, spielt die Musik. Kleine Mosaiksteine in frischen Blautönen formen Wellen als Bühnenhintergrund wie bei einem Kurtheater, davor türmen sich rechts und links mannshoch die Verstärker, zwischen ihnen toben fünf Männer. Schwarze T-Shirts, enge Hosen, dünne Beine, die Arme großflächig und farbenfroh tätowiert, ganz vorne am Mikrofon schüttelt einer lange blonde Haare und grölt mit finsterer, vernarbter Miene: „WE ARE BROKEN TEETH AND WE ARE HERE TO ROCK THE HELL OUT OF THIS BOAT!!! SO RISE UP THAT BUDWEISER AND SAY YEAH!!!!“

Auf den Liegestühlen und an den Bars des „Coral Bay Pool Deck“, inmitten von Kunstpalmen und runden Stehlampen, in der türkisfarbenen Ausstattung eines mediterranen Ferientraums für US-amerikanische Mittelschichtsurlauber, liegen und lungern Menschen in schwarzen T-Shirts, sie recken ihre großflächig und farbenfroh…

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No. 82 - Okt./Nov. 2010