Lesezeit 18 Min
Gesellschaft

Goodbye Vietnam

In Palacios, einem Ort mit 5000 Einwohnern an der texanischen Küste, haben sich nach dem Vietnamkrieg Hunderte Vietnamesen angesiedelt. Einst kamen sie als Boat-People hierher, heute leben sie zwischen Moderne und Tradition, sind Amerikaner und doch Vietnamesen. Die meisten von ihnen fingen als Garnelenfischer an. Aber die Jugend hat anderes im Sinn

CC Kim, Palacios, flickr.com
von
Zora del Buono
Lesezeit 18 Min
Gesellschaft

Libellen kleben auf Windschutzscheiben, an Kühlgittern, unter Scheibenwischern. Grün glitzernde Libellenleichen von bemerkenswerter Größe pflastern den Weg einer jeden Fahrt in diesem heißen, schwülen Ort.

Auch Sonntag ist ein Sterbetag, gerade der Sonntag, denn dann kommen sie alle mit ihren Autos hierher gefahren, ein Röhren von starken Motoren, der öde Parkplatz füllt sich mit einem Mal, aus allen Ecken der flachen Kleinstadt biegen Fahrzeuge ein, pünktlich zur selben Uhrzeit. Aus hohen Pick-ups klettern feingliedrige, dunkelhaarige Männer, Frauen und viele Kinder hinab auf das glühend heiße Pflaster, keine Cowboyhüte, keine schief getretenen Stiefel mit Metallsporen, obwohl Palacios doch in Texas liegt und von allen breit Palääschos ausgesprochen wird.

Vor der Kirchentür schwatzen die Frauen, die Kinder lachen, aber keine Muße ist hier zu spüren, es geht geschäftig zu, und schnell, sehr schnell huschen alle in den gekühlten Innenraum eines Kirchenbaus, der äußerlich betrachtet auch etwas Profaneres sein könnte, ein Supermarkt zum Beispiel. Die Türen schließen sich, der Parkplatz ist wieder menschenleer und still, Insekten tanzen, die Sonne brennt.

Frauen und Mädchen sitzen links des Mittelgangs, Reih um Reih auf Holzbänken, in Gedanken und Träumereien versponnen, während der Pfarrer in die Messfeier einführt, mit sonorer Stimme, gegen das Gesurre der Klimaanlage anredend. Schwarzes Frauenhaar neben schwarzem Frauenhaar, glänzend, dicht, sonntäglich gekämmt. Seidenblusen an den Älteren, bestickte und bedruckte T-Shirts bei den Jüngeren, herausgeputzt, jede auf ihre Art. Hier ein goldenes Kreuz im Dekolleté; dort dunkelrosa lackierte Fußnägel in Sandaletten, auf jedem Zeh prunkt ein kleines Bild, ein glitzernder Schmetterling, ein Herz, ganze Geschichten erzählen diese sorgsam dekorierten Füße, Geschichten von der Idee von Weiblichkeit, der Schönheit.

Thim weiß, was Schönheit bedeutet; Make-up, ein wenig schrill, exaltiert, feminin, so wie ihr Boyfriend es mag, der kein Vietnamese ist und deshalb eine andere Kirche besucht. Aber ihre Schwestern sind hier zur Sonntagsmesse, Anh, die den Sandwich Express betreibt, unten beim Hafen, und Tuwith, die ihr dabei hilft. Tuwith war es auch, die mit den Chihuahuas angefangen hat, kleine stramme Hunde, deren aufrechte Ohren überall dort auftauchen, wo die Nguyen-Schwestern oder Cousins der Nguyen-Schwestern oder angeheiratete Verwandte leben. Und so…

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No. 62 - Juni/Juli 2007