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Fernweh

Es war einmal ein fernes Land

„Arbeitskräfte für die Landwirtschaft gesucht, für ein Jahr, Kost und Logis frei.“ So lautete die Anzeige des isländischen Bauernverbands, die er in norddeutschen Zeitungen schaltete. Es führte zur ersten organisierten Einwanderung nach Island. Was sie nicht wussten: Der Bauernverband wollte der Liebe eine Chance geben. Island brauchte Frauen

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von
Dimitri Ladischensky
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Fernweh

Ursula Guðmundsson

Ihre Hände, ihre wunderschönen schlanken, gepflegten Hände! Ursula hatte in ihrem Leben nie geseufzt, jetzt tat sie es. Zum Arbeiten war sie nach Island gekommen, und Arbeit erledigte sie, gewissenhaft und ohne Murren. Wäsche waschen, Böden putzen, Kartoffeln schneiden, und das für 13 Leute auf dem Bauernhof. Zehn, manchmal zwölf Stunden am Tag, obwohl acht vereinbart waren, wie sie ihrer Bäuerin mit den Fingern im Arbeitsvertrag zeigte, energisch darauf tippen konnte sie noch. Auf diese Hände, rau und rissig, setzte sie sich nun, beim Wiedersehen mit dem Mann, in den sie sich verliebt hatte. Damit er sie nicht sah.

Ein Jahr zuvor, am 1. Juni 1949, hatte sie im Hamburger Hafen gestanden. Sie hatte sich mit abgebrannten Streichhölzern die Augenbrauen nachgezogen und ihre grüne Soldatenjacke mit Knöpfen und Streifen aufgehübscht, damit sie ein bisschen fraulicher aussah. Sie wartete auf ein Schiff, das sie nach Island bringen würde. Es würde ein Neuanfang sein, Liebe nicht ausgeschlossen. 200 Frauen standen mit ihr am Kai, alle mit Reiseköfferchen, alle zurechtgemacht. Dass sich auch 70 Männer auf der „Esja“ einschifften, sagen manche, ist nur dem Alibi geschuldet, dass das Ganze nicht zu sehr nach einem Heiratsmarkt aussah. Sie waren die erste Fuhre, weitere folgten mit Trawlern, und selbst ein Jahr später kamen mit der „Bruarfoss“ noch Frauen hinterher. 200 klingt nach einer kleinen Zahl, aber angesichts der 140 000 Einwohner, die Island damals hatte, war es eine Masseneinwanderung. Die erste organisierte Einwanderung der Insel. „Arbeitskräfte für die Landwirtschaft gesucht, für ein Jahr, für einen Monatslohn von 500 Kronen, Kost und Logis frei“, so lautete die Anzeige des isländischen Bauernverbands, die er in norddeutschen Zeitungen schaltete.

Bauernkräfte? Wenn Ursula sich auf der „Esja“ umschaute, alles hübsche Mädchen, so bezweifelte sie, dass sie nach landwirtschaftlichen Fähigkeiten ausgesucht worden waren. Es soll eine Radiodurchsage im Hafen von Reykjavík gegeben haben: „Herzlich willkommen und danke, dass ihr unser degeneriertes Blut auffrischt“, aber diese Durchsage hat Ursula nicht gehört.

Der Bauernverband wollte der Liebe eine Chance geben. In den ländlichen Regionen Islands herrschte Frauenmangel, seit die aufkommende Fischindustrie, wo mehr zu verdienen war als in der Landwirtschaft, vor allem die Isländerinnen an die Küste gelockt hatte. Deshalb schwärmten Funktionäre aus, in…

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No. 120, Februar/März 2017