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Fernweh

Ein anrüchiges Geschäft

Berühmte franzosische Parfüms enthalten einen geheimen Wirkstoff: Alter Walkot, genannt Ambra. Die feinsten Stucke werden an die Strände Neuseelands gespült. Sie sind so viel wert wie Gold.

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von
Dimitri Ladischensky
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Fernweh

Diese Reise beginnt im Warmen und Dunklen, im Enddarm eines Pottwals, mit einer abnormalen Fäkalie, die nur ein Prozent der Pottwale ausscheiden, und sie endet im Dekolleté einer Frau als teures Parfüm. Dazwischen liegen Tausende Kilometer, die das Exkrement in den Ozeanen zurücklegt, Jahre, in denen es in Wellen, Salz und Sonne reift, bis es eines Tages als weißer, verwitterter Klumpen an Neuseelands Westküste angespült wird. Nach einer Minute, vielleicht auch nach einem Tag oder einem Jahr wird er gefunden und dann wieder hin und her geschubst von Sammlern, Händlern und Zwischenhändlern, die ihn wiegen, in Koffer packen und in seine neue Heimat fliegen, in die USA, nach Saudi-Arabien oder Frankreich, in die Parfümhauptstadt Grasse. Dort landet er wieder  im Dunkeln, aus Konservierungsgründen, aber auch weil die Parfümindus­trie offiziell nichts mit Pottwalprodukten zu tun ­haben will. Wenn er wieder hervorkommt, zerbröselt und verflüssigt und als Inhaltsstoff in Hunderten Parfüms im Regal steht, ist alles hell, rein, schön. Und kein Wort von Ambra auf der Packungsbeilage…

Die eine Tonne Tintenfisch, die der Pottwal jeden Tag vertilgt, ist keine reizarme Kost: Die scharfkantigen Schnäbel sind unverdaulich. Damit sie nicht die Magenwand ritzen, werden sie von Körpersäften zu einer öligen Masse verklumpt. Ab und an spucken Wale diese Klumpen aus – das ist nicht Ambra. Das Gold kommt hinten heraus. Von den weltweit 350 000 Pottwalen werden ein bis fünf Prozent, also 3500 bis 10 000, mit einer Behinderung geboren, sagt der amerikanische Walexperte und Molekularbiologe Christopher Kemp. Weil ihr Magen zylinderförmig sei, könnten sie nichts hinauswürgen. Entweder scheiden sie die Klumpen aus und schwimmen erleichtert weiter oder sie sterben an Darmverschluss, sinken hinab und werden von Haien, Tintenfischen und Krebsen gefressen. In beiden Fällen steigt Ambra wie ein Korken auf, treibt an der Oberfläche und riecht streng. Nun reagiert die Ambra mit ihrer Umwelt, das Salz entzieht ihr Feuchtigkeit, die Sonne backt sie kross, und die Luft macht sie mürbe. Aus einem pechschwarzen, zähen und klebrigen Ding wird mit den Jahren auf See ein harziges, leichtes, graues Etwas. Das stinkende Entlein verwandelt sich geruchlich in einen Schwan. In einen der teuersten Duftrohstoffe der Welt.

Strömungsforscher haben versucht, die Wege des Wassers zu berechnen, aber eine Ambra, ausgeschieden in der Antarktis, kann in der Bretagne ebenso anlanden wie auf den Bahamas, kann nach drei Wochen angespült werden wie nach 50 Jahren. Allerdings gibt es noch nicht erforschte Wahrscheinlichkeiten, Regelmäßigkeiten. Malediven, Sri Lanka und Indien. Dort kommt die Masse an, riesige Brocken, aber selten von guter Qualität, sondern innen weich und teerartig. Die besten Stücke, die alten, ­gehärteten, duftenden, sie treiben nach Neuseeland.

Eine Ambra, die viele Jahre Strömungskarussell im Pazifik gefahren…

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