Lesezeit 20 Min
Kultur

Es ist nicht so

Es ist nicht so, wie es so sonst ist. Es ist eher Endstation Sehnsucht. „Kleine“ versucht mit Glumm in eine Verbindung zu kommen, der der Versuchung widerstehen muss, weil er selbst mit sich nicht verbunden ist. Am Schluss bleibt ein gemeinsames Essen, Nudeln mit Gulasch. Mehr nicht.

PRIVAT
von
Hanna Lemke
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Kultur

Über die Autorin:

Hanna Lemke, geboren 1981 in Wuppertal, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und lebt in Berlin.

„Es ist nicht so, dass ich dich vergessen hätte“, sagte Glumm, und ich war froh, dass wir rausgegangen waren, uns nicht in meiner Küche an seinem alten Küchentisch gegenübersaßen, Glumm mir also nicht gleich ansehen konnte, dass ich ihn am liebsten gefragt hätte: Sondern? Wie ist es denn gewesen?, erklär mal!, es interessiert mich brennend, wirklich brennend.

„Nicht?“, fragte ich stattdessen.

„Nein“, sagte Glumm. „Aber das hast du doch auch nicht geglaubt, oder?“

„Nein.“ Ich hatte meine Kapuze aufgesetzt, die mein Blickfeld scheuklappenähnlich begrenzte, Glumm ging neben mir her, auf dem schlecht geräumten, mit Streusalz überzogenen Weg, der am Weigandufer entlang führte. Es schneite schon wieder, eine neue Schicht, die die vorherige, wie immer viel zu schnell dreckig gewordene überdeckte, ich dachte an den Winter vor zwei Jahren, der Winter, in dem Glumm weggegangen war, und in dem es von Dezember an bis in den Februar hinein durchgeschneit hatte.

Die Temperaturen waren nie so lange über Null geblieben, dass einmal alles hätte wegtauen können; der Matsch auf den Wegen hatte sich jede Nacht aufs Neue in Eis verwandelt, die Leute waren draußen herumgewatschelt wie Pinguine, und ich hatte mir Spikes-Untersätze für meine Schuhe gekauft, denn: „Du darfst nicht frieren und du musst gut laufen können“, das waren die zwei Dinge, die Glumm mir beigebracht hatte, in dem Winter vor vier Jahren wiederum, als wir uns kennen gelernt hatten.

„Es ist nur so, es ist eine andere Welt, in der ich da bin, und zwischen der und dieser hier gibt es keine Verbindung“, sagte Glumm, wir überquerten die Lohmühlenbrücke, gingen auf der Treptower Seite weiter am Kanal entlang.

„Aber es gibt doch dich“, sagte ich. „Du bist die Verbindung.“

„Nein, nichtmal das funktioniert.“

Jetzt schaute ich ihn an. Glumm hielt den Kopf gesenkt, er hatte seine Hände in die Taschen gesteckt, den Kragen hochgeklappt, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, gut verpackt, gegen jede meiner Attacken gewappnet, dachte ich. „Erzähl doch mal, wie es war“, sagte ich, und, als müsste ich ihm einen Vorschlag machen, wo zu beginnen: „Mit deiner Mutter.“

„Ja“, sagte Glumm. „Meine Mutter ist noch einmal aus dem Krankenhaus rausgekommen, damit hätte ich gar nicht gerechnet. Aber wie das so ist, wenn ein alter Körper einen Knacks bekommt, von dem er sich nicht wieder erholt, nicht richtig, dann geht es zu Ende. Langsam, aber sicher…

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No.62