Lesezeit 21 Min
Gesellschaft

Die Anbetung des Fleisches

Nice to meat you, darf es da dann schon lauten, wenn man die „Die Anbetung des Fleisches“ von Michael Stavaric liest und die hat gemeinhin auch nichts mit dem Satz: „Ich habe heute leider kein Foto für Dich!“ zu tun. Dieser Laufsteg des Autoren geht sich anders. Hier geht es wirklich ums Fleisch. Schrill, schräg und irgendwie Salami!

HEIKE KÜSTER
von
Michael Stavaric
Lesezeit 21 Min
Gesellschaft

Michael Stavaric

geboren 1972 in Brno, lebt als freier Schriftsteller und Übersetzer in Wien. Studierte an der Universität Wien Bohemistik und Publizistik / Kommnikationswissenschaften.

Zahlreiche Auslandsaufenthalte, u.a. Dozenturen an der Rutgers-University in New York und Ludwig-Maximilian-Universität München.

Publiziert bei C.H.Beck, DTV und dem Nord-Süd-Verlag.

Kaum hatte ich die Messehalle betreten, schlug mir ein Schwall unterschiedlichster Gerüche entgegen, ich meinte noch, gegen eine unsichtbare Wand gelaufen zu sein und blieb wie angewurzelt stehen. Es roch nach Schweiß, Bratensaft, Gewürzen, rohem Fleisch und frischem Urin. Keine Ahnung auch, wie alter Urin wohl riechen mochte, darüber wollte ich gar nicht nachdenken. In der gewaltigen Glashalle, die sich wie eine gigantische Kuppel bis zum Horizont zu wölben schien, waren bestimmt tausend Menschen zu Gange… Fleischer, Köche, Besucher, Kamerateams und allerlei verkleidete Gestalten. Einige trugen Rüstungen und Uniformen, Säbel und Morgensterne, andere Trachten und bunte Mäntel, wieder andere ahmten Superhelden nach, Batman und Robin, Wolverine, sie schmissen sich in Pose und hatten ihr breitestes Grinsen aufgesetzt.

Bald schon erblickte ich noch seltsamere Gestalten, die irgendein bizarres Kammerspiel aufzuführen schienen. Sie bevölkerten eine große Bühne auf der allerlei Fleischbrocken herumlagen, aus Styropor und Pappe wie beim Theater so üblich. Die Akteure wiederum steckten in opulenten Madenkostümen, sie krochen und tanzten um ihre „Beute“ und bohrten ihre Köpfe in die im Styropor ausgeschnittenen Vertiefungen. „Anbetung des Fleisches“ hieß das Stück, wie auf einem der Bühnenplakate zu lesen war, „Anbetung des Fleisches“ von Daniel Gröhlmann. Eine Menge Metzger schaute dem Spektakel interessiert zu, sie tranken Bier und - ja doch - grölten, immer dann, wenn sich eine der Maden zu verpuppen schien.

Auf großen Rolltreppen gelangte man auf eine weitere, höher gelegene Ebene, von dort aus ließ sich die brodelnde Menge gut im Auge behalten. Etwas weiter hinten schleiften ein paar asiatisch anmutende Fleischer eine panische Kuh in einen Glasquader, sie banden sie an einem Eisenring fest, wetzten ihre Messer und sangen ein paar volkstümliche Lieder. Eine interessierte Zuschauermenge presste ihre Näschen an die Glasscheiben, alle hielten einen kurzen Moment lang den Atem an. Nach einigen Verbeugungen stürzte sich einer der Asiaten auf die Kuh, schnitt ihr mit einem gezackten Messer die Kehle durch, die Kuh schwankte, brach in den Hinterläufen ein, fiel alsbald vornüber und das Blut spritzte in alle Richtungen, als hätte jemand einen Gartenschlauch unter ihrem Körper eingeklemmt.

Auf der höher gelegenen…

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No. 79