Lesezeit 28 Min
Gesellschaft

Der Tanz der Schlachter

Achtung, jetzt wird’s wild: Vom Aussterben der Gyrosaurier, den letzten Fleischplatten in griechischen Restaurants, weiß Stevan Paul nicht zu berichten – aber von griechischer Gärtlichkeit unter deutschen Laubenpiepern. Dazu nimmt er noch eine Brise Indien, um die Schlachter zum Tanzen zu bringen. Komisch, komisch und nochmals komisch ...

ANDREA THODE
von
Stevan Paul
Lesezeit 28 Min
Gesellschaft

Über den Autor:

Stevan Paul, geboren 1969, lebt in Hamburg. Der gelernte Koch ist als Rezeptentwickler, Foodstylist und Kochbuchautor für Verlage und Redaktionen tätig. Als freier Autor schreibt er Texte, Kolumnen und Reportagen für Zeitschriften, Magazine und Tageszeitungen. Er betreibt eines der meistgelesenen Foodblogs im deutschsprachigen Raum.
Die Website des Autors: http://stevanpaul.de
Der Autor im Internet: http://nutriculinary.com/

Fettiger Rauch steigt von ungezählten Grillrosten hinauf in die backsteinschwere Mittagshitze, verwirbelt zwischen akkurat gestutzten Hecken. Es ist ganz still hinter den grünen Abgrenzungen, nur die Kinder stürmen ans Gatter, wenn sich die Fremden nähern, winken und lachen. Es ist ja sonst nichts los hier, die rostigen Wippen langweilen, und im Garten welken die Erziehungsberechtigten auf sonnengebleichten Liegestühlen. Von allen Seiten schaut die Stadt herein, Hochhäuser und Baukräne umzäunen das wohlgeordnete Grün, werfen schüchterne Schatten auf die gezirkelten Grasränder und verhalten sich ansonsten still und leise. Kein Ton weht herein, auch die Stadt hält sich an die vorgeschriebene Mittagsruhe zwischen 13:00 und 15:00 Uhr, und das ist mit Sicherheit das Verdienst von Herrn Böhme. Herr Böhme ist Vorstand des Schrebergartenvereins Wohlauf 1956 e. V. und verkündet auf einem in Frakturschrift verfassten Zettel, der in einem verwitterten Glaskasten am Eingang des Vereins hängt, dass die Mittagsruhe unbedingt einzuhalten sei, sowie das Rasenmähen, Heckenschneiden, Hämmern und Zimmern an Sonn- und Feiertagen zu vermeiden. Desweiteren behalte Herr Böhme sich vor, jederzeit und ohne Vorankündigung eine Gartenbegehung zu machen! Die Warnung zeigt Wirkung, sauber und gepflegt präsentieren sich die Gärten rechts und links der schmalen Wege, dunkel lasiert glänzen die Miniaturheime in der Sonne, und selbst aus den Heeren der Gartenzwerge tanzt keine Mütze aus der Reihe. Und diese Ruhe! Wenn man stehen bleibt und die Kiesel nicht mehr unter den Schuhen knirschen, dann kann man sogar hören, wie hinter den Hecken Grillwürstchen gewendet werden.

Demis stört lautstark den Mittagsfrieden und sorgt für Orientierung: „Gia sou! Bin ich hier hinten!“ Ja, da steht er, Demis, die zweite Generation der großen griechischen Gastronomenfamilie unserer Stadt, winkend hinter einem blau gestrichenen Gatter am Ende des Weges. Er sieht aus, als stünde er in seinem Restaurant, den muskulösen Oberkörper nahtlos eingenäht in ein sehr knappes T-Shirt mit Jeansaufdruck, er trägt weiße Segelhosen mit Bügelfalte zu hellbraunen Slippern. Das schwarze Haar bürstenkurz, seine Augen lachen hinter den Gläsern einer imposanten Dior-Brille. Er sieht aus, als gehöre er hier nicht hin. „Willkommen auf griechische Boden!“, brüllt er, drückt meine Freundin fest an sich und zerquetscht mir die Hand. „Kommt ma rein, ist sehr gemudlich, mache ich gleich ma Schlossfuhrung fur euch!“ Als Demis uns im vergangenen Winter von seinen Plänen erzählt hatte, Land und Laube in einer Schrebergarten-Kolonie zu erwerben, da hatten wir alle herzlich gelacht, und Demis hatte geschmollt: „Ist doch gute Idee! Komm ich sonst nie raus zu de Natur!“ Jetzt staunen wir - in blau-weißem Nationalstolz leuchtet die kleine Hütte mitten im gepflegten Rasengrün. Unter griechischer Flagge wachsen rote Tomaten, grüne Bohnen räkeln sich vor einer warmen Mauer aus weißen Steinen. „Ist naturlich viel Arbeit, die Rasen und die ganze Gemuse auch, aber die Gemuse muss, weil das ist de Vorschrift, jede Garten muss funfzehn Prozent Nutzpflanzen haben, Tomaten und Bohnen sinde sehr nutzlich, so, konnt ihr euch schoma da hin setzen, komme ich gleich mit de Fleisch, Grill ist…

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No. 70