Lesezeit 23 Min
Kultur

Beef Tartare

Sie hatten sich über einen Roman unterhalten, in dem der Kopf des Romanschriftstellers vom Rumpf getrennt dem vom Rumpf getrennten Kopf seines Hundes gegenüber auf einen Stuhl platziert wird, während der Körper längst nicht mehr als ein solcher zu erkennen ist. Vorsicht vor diesem literarischen Vexierspiel von Clemens Berger, in dem der Leser sich zwischen Vision und Wirklichkeit verlaufen wird.

SVEN PAUSTIAN
von
Clemens Berger
Lesezeit 23 Min
Kultur

Clemens Berger

geboren 1979, aufgewachsen in Oberwart, studierte Philosophie in Wien. Bücher: „Der gehängte Mönch“, „Paul Beers Beweis“, „Die Wettesser“, „Gatsch/Und jetzt. Zwei Stücke“, „Und hieb ihm das rechte Ohr ab“, „Das Streichelinstitut“. Sein Stück „Engel der Armen“ wurde 2011 im Staatstheater Darmstadt uraufgeführt.
www.clemensberger.at

Es waren Tage schlechter Nachrichten. Am Abend unserer ersten Begegnung scherzte ich mit Hubert Scheibl über den zerstückelten, in Plastiktüten in die Spree geworfenen Tätowierer aus Hallein, dessen Geschichte die lokalen Zeitungen umtrieb. Der junge Mann war von einem Kollegen aus den Vereinigten Staaten bestialisch ermordet worden, Familie und Freunde konnten sich die Tat nicht erklären, wir versuchten es auf unsere Art. Andere mögen das in einen Kausalzusammenhang setzen mit dem, was geschehen sollte; ich halte nichts von dergleichen Hokuspokus, auch wenn ich mich heute ungern unserer Geschmacklosigkeiten entsinne.

Zu seiner und meiner Verteidigung seien der rote Wein, die Blaue Gans, die späte Stunde und ein für manche möglicherweise unangebrachter Humor angeführt, dem allein wir zutrauten, den Horror bannen zu können. Wir spannten einen Bogen zur japanischen Tätowierkunst, rätselten über jene Verstorbenen, deren kunstvoll gestochene Häute abgezogen und anderswo zur Konservierung aufgespannt wurden, wir sprachen über die um sich greifende Mode des Zerstückelns (der eine schwor auf Husqvarna, die andere bevorzugte Black and Decker), die auch vor Künstlern keineswegs Halt macht. »Vor Schriftstellern«, korrigierte Hubert Scheibl und klopfte mir grinsend auf die Schulter. Im Aufzug, der uns von der Festung in die Stadt gebracht hatte, hatten wir uns über einen Roman unterhalten, in dem der Kopf des Romanschriftstellers vom Rumpf getrennt dem vom Rumpf getrennten Kopf seines Hundes gegenüber auf einen Stuhl platziert wird, während der Körper längst nicht mehr als ein solcher zu erkennen ist. Wir kamen zur verblüffenden Erkenntnis, dass manche Menschen zutiefst böse sind.

Im Osloer Regierungsviertel hatte ein selbsternannter Kreuzritter eine Bombe detonieren lassen, die acht Menschen in den Tod riss, ehe er als Polizist verkleidet auf eine Ferieninsel übersetzte, um neunundsechzig Menschen in einem sozialdemokratischen Jugendferienlager zu erschießen. Nachts war ich im Internet auf das Bekennervideo gestoßen, der Joint, den ich mit einem Regisseur geraucht hatte, hatte mich in meinem kleinen Zimmer nur tiefer in den Schrecken gezogen. Am nächsten Tag hatte ich in einer Spelunke beim Fußballschauen einen Mann einen anderen mit den Worten begrüßen gehört, es werde kein neues Album von Amy Winehouse geben. Ein Blick auf mein kluges Telefon, auf jenes Gerät also, das Hubert Scheibl zur quasinatürlichen Verlängerung seines Selbst geworden war, hatte mir bestätigt, dass die Sängerin tot in ihrer Londoner Wohnung gefunden worden war.

Es war ein lauer Abend, dem in meiner Zeit als Autor zu Gast der Internationalen…

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No. 47