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Wirtschaft

Zombies des Zasters

Mit der Erfindung des Geldes wollte der Mensch einst den Tausch von Waren erleichtern. Mit einem rechnete er nicht: dass es ein Eigenleben entwickeln würde. Dass die Moneten zum Meister werden würden, die den Lauf der Welt diktieren – und die Menschen nicht nur dessen Diener, sondern in letzter Konsequenz sogar: überflüssig würden

Everett Historical/shutterstock.com
von
Tobias Hürter
und
Thomas Vašek
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Wirtschaft

Im Frühjahr 1827 ging es Ludwig van Beethoven gar nicht gut. Nachdem er viele Jahre lang großzügig dem billigen Weißwein zugesprochen hatte, zeigte der 56-Jährige nun schwere Symptome einer Leberzirrhose: Gelbsucht, Wasser in den Beinen und im Unterleib. Drei Operationen hatten ihn geschwächt. Um seine Lebensgeister wieder zu wecken, verschrieben die Ärzte ihm »Punsch-Eis in bedeutender Quantität täglich«. Zunächst schien es zu funktionieren: Beethoven konnte sogar wieder seinen Lesesessel beziehen. Er nahm Walter Scott zur Hand. Der Komponist schätzte den schottischen Nationaldichter, hatte sogar ein paar von dessen Texten vertont. Doch dieses Mal wollte Scott ihm nicht gefallen. Beethoven musste sich furchtbar aufregen. 

Der Kerl schreibt doch bloß fürs Geld!«, rief er und schleuderte den Band in die Ecke. Eine vierte Operation wurde notwendig. Nicht einmal das Punsch-Eis vermochte es mehr, den großen Komponisten bei Kräften zu halten. »Von hieran ging es nun rasch dem Tode zu«, schrieb Beethovens Sekretär und Biograf Anton Schindler.

Na, und Sie, Herr Beethoven? Haben Sie etwa für lau komponiert? – Natürlich nicht. Als freischaffender Künstler musste Beethoven stets darauf achten, dass die Kohle stimmte. Aber er stellte die Kunst über das Geld. Als er einmal ein Oratorium zu einem Text von Joseph Carl Bernhard komponieren sollte, das mit einem großzügigen Honorar von 300 Dukaten entlohnt werden sollte, brach er die Arbeit ab und verzichtete auf das Geld, weil ihm der Text nicht passte. Walter Scotthätte vielleicht weiterkomponiert. Das ist es, was Beethoven an ihm missfiel.

Es ginge sicherlich zu weit zu sagen, dass Walter Scott Beethoven ins Grab gebracht habe. Er hat jedoch zumindest dazu beigetragen. Beethoven konnte nicht mehr erklären, was genau ihn an Scott so aufgebracht hatte. Aber wir können es vermuten. Beethoven sah den Wert von Scotts Werk durch den Verdacht beeinträchtigt, dass dieser nur dem Geld hinterher- geschrieben habe. Das Geld habe Scott korrumpiert, glaubte der Komponist. Wenn er recht hatte, dann verändert das Geld uns. Aber wie? Was macht es mit uns?

»Geld regiert die Welt«, so sagt man. Und das ist sicherlich nicht übertrieben. Zwar gibt es Geld als Zahlungsmittel schon seit Jahrtausenden. Doch noch nie war es so mächtig wie heute. Tatsächlich durchdringt es fast alle Lebensbereiche. Mit Geld kann man so gut wie alles kaufen. Geld befreit von Zwängen. Es hilft, Bedürfnisse zu befriedigen. Es schafft Möglichkeiten. Insofern macht es frei. Aber in einem anderen Sinn kann es auch unfrei machen, nämlich dann, wenn es das Handeln diktiert. Viele Menschen empfinden heute Unbehagen über die Macht des Geldes – und über unser Wirtschaftssystem...

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Nr. 5/2014