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Philosophie

Väterchen Ewigkeit

Der russische Philosoph Nikolai Fjodorow träumte von einer Welt, die Vergangenheit und Zukunft, Tote und Lebende in einem ewigen, unsterblichen Universum vereint. Er gilt als Vater des Kosmismus – von dem westliche Transhumanisten einiges lernen können.

geralt / pixabay.com
von
Rebekka Reinhard
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Philosophie

Die Bibliothek des Rumjanzew-Museums in Moskau war im 19. Jahrhundert die größte Bibliothek der Stadt. Zwischen 1874 und 1889 arbeitete dort ein Beamter, der sommers wie winters denselben löchrigen Mantel trug und sich am liebsten von Tee und trocken Brot ernährte. Der Name des überzeugten Asketen: Nikolai Fjodorowitsch Fjodorow (1829–1903). Wann immer ein Bibliotheksbenutzer ein Buch ausleihen wollte, sorgte Fjodorow heimlich dafür, dass der Leser zusätzlich zum bestellten Exemplar weiterführende Literatur aus dem riesigen Schriftenfundus erhielt; Texte, die der Leser nicht angefordert hatte, die sich für sein Studium aber meist als überaus nützlich erwiesen.

Es kam auch vor, dass ein Besucher zum persönlichen Gespräch in Fjodorows Büro eingeladen wurde. Dort nahm sich der von Zeitgenossen sogenannte »ideale Bibliothekar« und »Moskauer Sokrates« dann der eigentlichen Erziehung des ahnungslosen Gastes an – und diskutierte mit ihm Möglichkeiten zur künftigen Harmonisierung von Mensch und Kosmos, der Besiedelung des Universums und der Wiederauferstehung Verstorbener.

Fjodorow, unehelicher Sohn eines Adligen, Schulabbrecher, gescheiterter Lehrer und Büchereiangestellter mit pädagogischer Mission, dessen Gedanken Fjodor Dostojewski einst als »seine eigenen« akzeptierte, ist seit den 1980erJahren eine Art russisches Nationalheiligtum. Nach Jahren der Ächtung in der ehemaligen Sowjetunion vergöttern Intellektuelle wie Künstler nun wieder Fjodorows Genie, lädt man internationale Experten zu Konferenzen über die Rezeptionsgeschichte seiner…

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Nr. 1/2018