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Philosophie

Das Märchen vom Erfolg

Du bist, was du leistest: Dieser Grundsatz steckt tief in unseren Köpfen. Doch das Spiel von Leistung und Erfolg funktioniert nicht mehr. Zeit, es hinter uns zu lassen.

conrado / shutterstock.com
von
Tobias Hürter
,
Rebekka Reinhard
und
Thomas Vašek
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Philosophie

In der Lebenshilfe-Abteilung einer Buchhandlung findet man zwei Sorten von Büchern. Die eine Hälfte verspricht, den Leser erfolgreicher zu machen (»Die Gesetze der Gewinner: Erfolg und ein erfülltes Leben«). Die andere Hälfte will dabei helfen, mit Misserfolg klarzukommen (»So gewinnen Sie mehr Selbstvertrauen: Sich annehmen, Freundschaft schließen, den inneren Kritiker besiegen«). So oder so, der Erfolg bestimmt den Takt. Erfolgreich sein, das will jeder. Aber selten denken wir darüber nach, was Erfolg eigentlich bedeutet. Als erfolgreich gilt, wer den richtigen Jobtitel auf dem Türschild und der Visitenkarte stehen hat. Wer die richtige Automarke fährt, ein Haus besitzt, ein hohes Gehalt bekommt oder viele Klicks bei YouTube. Aber ist es wirklich das, wonach wir streben, ein bestimmter Titel oder ein Stern auf der Motorhaube?

Wir leben in einer Zeit der großen Versprechen: Jeder kann es schaffen.

Auf den ersten Blick scheint es so zu sein. Warum sonst sollten wir uns so für diese Dinge ins Zeug legen? Es gibt jedoch noch eine andere, überzeugendere Erklärung: Wir wollen diese Dinge nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen anderer Dinge, zu denen sie uns verhelfen – Anerkennung, Respekt, Bewunderung, Status. Ein Titel ist nur dann toll, wenn die Mitmenschen ihn toll finden. Ein teureres Auto fährt nicht unbedingt besser als ein günstigeres, ist aber repräsentativer.

Diese Autos und Visitenkarten sind also nur kleine Figuren in einem Spiel, in dem es um Erfolg geht. Das wäre an sich nicht weiter schlimm – wenn denn das Spiel funktionieren würde. Doch wir leben heute in einer Zeit, in der dieses Spiel nicht mehr funktioniert.

Wir leben in einer Zeit der großen Versprechen: Jeder kann es schaffen. Es gibt keine Kasten mehr und keine festen Berufsstände. Die Lebenswege sind nicht mehr vorgezeichnet, die Schicksale nicht mehr…

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Nr. 6/2015