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Philosophie

Das Gute berechnen

Eine neue ethische Bewegung gewinnt seit einigen Jahren Anhänger: der effektive Altruismus. Seine Verfechter propagieren einen mathematisch-ethisch optimierten Lebensstil. Kann so etwas funktionieren?

Oleksandr Khmelevskyi / Shutterstock.com
von
Tobias Hürter
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Philosophie

Ein Mann, nennen wir ihn Albert, macht einen Spaziergang. Er kommt an einem Teich vorbei. Ein kleines Kind fällt beim Spielen vom Steg, es schreit und strampelt im Wasser; wenn Albert nicht eingreift, wird es ertrinken. Albert überlegt nicht lange, reißt sich die Schuhe von den Füßen, springt hinein und holt das Kind aufs Trockene zurück. Später wollen sich die Eltern bei ihm bedanken, aber Albert winkt ab. Ist doch klar, hätte jeder so gemacht. Aber während seines Spaziergangs war nicht nur dieses eine Kind in Not. Anderswo fehlt Kindern sauberes Trinkwasser oder medizinische Versorgung. Albert kennt den Unicef-Report, er weiß, dass weltweit Stunde für Stunde zwischen 600 und 700 Kinder sterben, viele von ihnen an leichthin vermeidbaren Ursachen. Während der Stunde, in der er spazieren geht, könnte Albert ihnen helfen, er müsste nur den »Donate«-Button auf der Webseite der »Against Malaria Foundation« anklicken. Stattdessen klickt er zu Hause auf den One-Click-Button bei Amazon und kauft sich neue Lautsprecherboxen für seine Stereoanlage.

Ist Albert ein guter Mensch? Ja, würde er sagen, also bitte, immerhin habe er heute ein Kind gerettet. Aber eine wachsende Zahl von Philosophen stellt diese Denkweise infrage. Es genügt nicht, ein bisschen gut zu sein, sagen sie, wirklich gut ist nur, wer so gut wie möglich ist. Sie nennen sich »effektive Altruisten« (effective altruists), wobei man das »effective« sowohl im Sinn von »echt«, »wirklich« als auch im Sinn von »wirksam« verstehen kann. Und sie sind mehr als eine philosophische Denkschule. Sie sind eine soziale Bewegung. Zehntausende Menschen weltweit richten ihr Leben nach den Regeln des effektiven Altruismus aus.

Die Bewegung nahm ihren Anfang im Jahr 1971, als der australische Philosoph Peter Singer…

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Nr. 2/2017