Lesezeit 25 Min
Politik

Rita Süssmuth

„Wer Wandel will, muss ihn wagen und konsequent betreiben.“

MICHAEL ENGLERT
von
André Boße
Lesezeit 25 Min
Politik

Zur Person

Prof. Dr. Rita Süssmuth (geboren am 17. Februar 1937 in Wuppertal) ist Tochter eines Lehrers und verbrachte ihre Kindheit und Jugend im Münsterland.

Nach dem Studium und Tätigkeiten als Professorin an mehreren Unis war sie von 1982 bis 1985 Leiterin des Instituts Frau und Gesellschaft.

1985 holte Helmut Kohl sie als CDU-Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit ins Kabinett, schnell fügte Süssmuth das Ressort „Frauen“ hinzu.

Von 1988 bis 1998 war sie Präsidentin des Deutschen Bundestages.

Bis heute ist sie in Wissenschaft und Bildung engagiert, die Themen Migration und Integration liegen ihr besonders am Herzen. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Historiker Hans Süssmuth, bei Neuss.

Neuss. Rita Süssmuth erreicht das Tagungshotel an der Neusser Stadthalle leicht verspätet: Sie kommt direkt aus Köln, wo sie sich in einem Gremium für Flüchtlingspolitik engagiert. Von wegen Ruhestand: Die streitbare Familien- und Frauenministerin unter Kohl und langjährige Präsidentin des Deutschen Bundestags wird in diesen Tagen 80 Jahre alt, doch von ihrer politischen Gestaltungskraft hat sie noch nichts verloren. Nach der winterlichen Autofahrt wärmt sich Rita Süssmuth mit einer Parmesansuppe auf, im Gespräch wechselt sie immer wieder von der persönlichen Ebene auf die politische Bühne. Sie erzählt von harten Kontroversen mit Peter Gauweiler, die sie beinahe den Job gekostet hätten, und zeigt auf, was Angela Merkel in der Flüchtlingskrise geleistet hat.

Frau Süssmuth, Sie haben vor gut einem Jahr ein Buch mit dem Titel „Das Gift des Politischen“ geschrieben. Viele haben sich damals gewundert: Warum sollte die Politik ein Gift sein?

Sehen Sie, und heute wundert sich keiner mehr. (lacht) Als das Buch erschien, hat es zumindest Bedenken ausgelöst. Die Kollegen konnten gar nicht fassen, wie eine Politikerin anhand eines solchen Leitbegriffs über die Politik schreiben kann. Wobei ich ja nicht nur über das Gift des Politischen geschrieben habe, sondern auch über das Gegengift. Also das, was man dagegen unternehmen kann und muss, damit das Gift nicht wirkt.

Viele Ihrer Kollegen haben sich vielleicht gedacht: Jetzt rechnet Rita Süssmuth ab!

Nein, nichts liegt mir ferner als eine Abrechnung. Zumal ich ja selbst weiterhin noch politisch tätig bin. Nicht mehr im Bundestag, aber weiterhin in vielen Gremien. Das Entsetzen meiner Kollegen verschwand schnell, sobald ich argumentierte, warum ich denn den Begriff des Giftes gewählt hatte. Es ging mir ja nicht darum, die Menschen von der Politik fernzuhalten. Im Gegenteil, meine Aufforderung lautet: Bringt euch ein! Entwickelt Gegengifte!

Was sind die Gifte des Politischen?

Davon gibt es eine ganze Reihe. Dazu zählt die Erwartung von vielen Menschen, alles müsse immer so bleiben, wie es gerade ist. Diese Angst vor der Veränderung wirkt wie ein Gift. Zu den Giften zählt auch, dass Teile der Gesellschaft nicht mehr bereit sind, für die Schwachen einzustehen, dass sie nur noch auf ihr eigenes Wohl schauen und sich von den anderen Menschen abwenden.

Dass Sie mit einem Begriff wie „Gift“ provozieren, passt ganz gut zu Ihrer…

Jetzt weiterlesen für 0,69 €
Nr. 21/2017