Lesezeit 21 Min
Kultur

Cornelia Schleime

„Oft kann ich das Geplapper der Gesellschaft nicht aushalten.“

LENA GIOVANAZZI
von
Alicia Rust
Lesezeit 21 Min
Kultur

Zur Person

Cornelia Schleime, 1953 in Ostberlin geboren, absolvierte von 1970 bis 1975 eine Friseurlehre und ein Maskenbildner-Studium, bevor sie dann nach einer Episode als Pferdepflegerin 1975 ihr Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden begann. Nach dem Studium erhielt sie Ausstellungsverbot, 1984 reiste sie nach Westberlin aus. Dabei verlor sie alle Kunstwerke, die sie bis dahin zu DDR-Zeiten geschaffen hatte. Viele Einzelausstellungen und Preise krönen ihre Karriere. Große Aufmerksamkeit erregte sie auch mit ihren Super-8-Filmen, zum Beispiel über die Rolle der Frau in der DDR, sowie mit ihren Büchern. Die Malerin, Zeichnerin, Performancekünstlerin, Schriftstellerin, Dichterin und Filmemacherin lebt in Berlin und in ihrem Atelier im Ruppiner Land.

​Ruppiner Land, Brandenburg. Es gießt wie aus Eimern, dabei hatten wir uns schon auf den Garten der Berliner Künstlerin Cornelia Schleime gefreut. Wir besuchen sie irgendwo im Nirgendwo in den Tiefen Brandenburgs, kommen aber zu spät, weil wir hinter einem Konvoi aus Treckern herjuckeln mussten. Cornelia Schleime trägt es mit Fassung, dabei steht sie unter Druck, gilt es doch die letzten Bilder für die kommende Ausstellung fertigzumalen. Fröhlich begrüßt uns die Künstlerin in ihrem Atelier, welches einer Wunderkammer gleicht. In der Küche hängt eine Schaukel, der Pfirsichtee, serviert im selbstbemalten Service, wärmt. Zu Beginn des Gesprächs rutscht eine Tasse vom Tisch. Cornelia Schleime lacht, sammelt die Scherben auf, die sie zu kleben gedenkt. Es sei bereits die zweite Tasse, die heute zu Bruch gegangen ist. Wenn das mal kein gutes Omen ist.

Frau Schleime, Sie stammen aus der DDR. Wie sind Sie dort aufgewachsen?

Meine Mutter war katholisch, mein Vater hatte als Widerstandskämpfer im KZ gesessen und war anschließend traumatisiert. Er war zuvor schon verheiratet gewesen, weshalb meine Eltern nur standesamtlich und nicht nach katholischem Recht heiraten durften. Auf Betreiben der Großeltern mütterlicherseits wurde ich dafür streng katholisch erzogen, was für die DDR ungewöhnlich war. Ich hatte immer wunde Knie vom Knien in der Gebetsbank. Bereits als Kind hatte ich eine tiefe Stimme, das kommt also nicht nur vom Rauchen. Im Gottesdienst sangen damals alle mit diesen fürchterlich hohen Stimmen, als wollten die damit das Kirchendach abheben. Es war schlimm für mich, ich kam nicht in diese höheren Stimmlagen. Einfach grauenvoll! Das einzige Wahrhaftige, wenn der Gottesdienst dann endlich vorbei war, war mein Gebet: „Lieber Gott, ich danke dir, dass die Messe vorbei ist und…

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Nr. 24/2017