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Gesellschaft

Blind Date

Die FBI-Übersetzerin Daniela Greene sollte den deutschen IS-Kämpfer Denis Cuspert überwachen – stattdessen reiste sie nach Syrien und heiratete ihn. Jetzt versteckt sie sich in den USA. Wer ist diese Frau? Begegnung mit einem Phantom.

CLAAS ROLOTIUS / DER SPIEGEL
von
Claas Relotius
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Gesellschaft

Es war der Abend des 1. Mai, ein Montag, als das zweite, neue, unscheinbare Leben von Daniela Greene endete und ihre Vergangenheit sie einholte. Greene, 38 Jahre alt, kam gerade von der Arbeit, sie hatte Sekt in der Bar eines Hotels serviert, wie eine ganz normale Kellnerin. Zu Hause, in ihrer Einzimmerwohnung in einer unauffälligen Stadt im Bundesstaat New York, setzte sie sich vor den Fernseher, schaltete durch das Programm. Und las ihren Namen in den "Breaking News" auf fast allen Kanälen.

Greene saß allein auf ihrem Sofa, sie beugte sich dem Fernseher entgegen. Zuerst sah sie Fotos von sich selbst, mit verpixeltem Gesicht, dann Bilder von einem Mann mit Kalaschnikow in einer Wüste. Sie kannte diese Bilder, sie zeigten Denis Cuspert, einen Deutschen, dem sie vor einiger Zeit sehr nahegekommen war. Sie hörte Ermittler des FBI, die sie eine "Schande des Geheimdiensts" nannten; Minister der Regierung, die von "Hochverrat" und "Lügen" sprachen; Reporter, die fragten, ob Greene, die schöne Frau mit den langen blonden Haaren, eine islamistische Spionin sei, eine Terroristin des IS, des "Islamischen Staats".

Wer ist Daniela Greene?

Nur Stunden zuvor, während sie Geschäftsleuten im Hotel Cracker mit Käse brachte, hatte der Sender CNN lange unter Verschluss gehaltene Gerichtsakten veröffentlicht. Aus diesen geht hervor, dass Greene, in der Tschechoslowakei geboren, in Deutschland aufgewachsen, nicht immer Kellnerin gewesen war, sondern, bis vor drei Jahren, als ihr erstes Leben endete, eine Mitarbeiterin des US-Geheimdienstes FBI. Es geht daraus hervor, dass Greene, im Bereich Terrorabwehr beschäftigt, den Auftrag hatte, den deutschen IS-Kämpfer Denis Cuspert zu überwachen. Dass sie dabei seine Nachrichten und Telefongespräche in Syrien von den USA aus observiert hatte. Aus den Akten geht auch hervor, dass Daniela Greene im Sommer 2014 die Seiten gewechselt hatte und ein Verhältnis mit Denis Cuspert eingegangen war, einem Mann, der später in Enthauptungsvideos zu sehen sein würde, der seither schon mehrfach für tot erklärt wurde und dessen Name bis heute auf einer Liste mit weltweit gesuchten Terroristen steht. Greene, die Denis Cuspert, Deutschlands berüchtigtsten Dschihadisten, ausspionieren sollte, so steht es in der Urteilsschrift "United States of America v. Daniela Greene", war nach Syrien gereist und hatte Cuspert, ihr Zielobjekt, geheiratet.

Die Stadt, in der Daniela Greene heute lebt, hat 150 000 Einwohner und liegt mehr als 9000 Kilometer entfernt von Syrien, nahe der Grenze zu Kanada, am nordöstlichen Rand der USA. Sie war an diesen Ort…

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Nr. 24/2017