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Wirtschaft

Orakelmaschinen und Menschen

"Ich bin ein Verfechter der Sichtweise, dass wir Menschen uns als Analog- und Digital-maschinen begreifen sollten." Sagt Klaus Mainzer. Im Gespräch mit Matthias Eckoldt erklärt er, warum das Bewusstsein nicht die zentrale Stellung innehat, die man ihm gemeinhin beimisst. Dabei geht es um Hunde, Orakelmaschinen und den Menschen als eine Zwischenstufe der Evolution.

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von
Matthias Eckoldt
und
Klaus Mainzer
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Klaus Mainzer, geboren 1947, arbeitet über Grundlagen der Mathematik, Informatik, Technik- und Wissenschaftsphilosophie und ist Autor zahlreicher Sach- und Fachbücher. Bis 2016 hatte er den Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Technischen Universität München (TUM) inne, war Direktor der Carl von Linde-Akademie und Gründungsdirektor des Munich Center for Technology in Society. Seit 2016 ist er Emeritus of Excellence an der TUM. Letzte Publikation zum Thema: Künstliche Intelligenz – Wann übernehmen die Maschinen? (2016).

Matthias Eckoldt studierte Philosophie, Germanistik sowie Medientheorie und promovierte mit einer Analyse der Massenmedien auf Grundlage der Luhmann’schen Systemtheorie und der Foucault’schen Machtanalytik. Er publizierte mehrere Romane, Prosa und Fachbücher und verfasste über 300 Radiomanuskripte zu geistes- und naturwissenschaftlichen Themen. Zurzeit lehrt Matthias Eckoldt als Schreibdozent an der FU Berlin. Bei Carl-Auer sind von ihm die beden Gesprächsbände Kann das Gehirn das Gehirn verstehen? und Kann sich das Bewusstsein bewusst sein? erschienen. Dem letztgenannten Buch ist das Gespräch mit Klaus Mainzer entnommen; es erscheint in einer leicht gekürzten Fassung.


Matthias Eckoldt: Warum und wie ist Bewusstsein für Sie überhaupt interessant geworden? 

Klaus Mainzer: Ich muss Sie gleich zu Anfang enttäuschen: Das Bewusstsein hat nicht die zentrale Stellung, die man ihm in der Öffentlichkeit und vor allem in der Philosophiegeschichte zuordnet. Ich habe sehr viele Entwicklungen von Intelligenz im Rahmen der Informatik und der künstlichen Intelligenz gesehen, die hervorragend ohne Bewusstsein funktionieren. Deshalb frage ich mich, welche Gewichtung das Bewusstsein mit Blick auf die Natur als Ganzes überhaupt hat? Dass wir Menschen Bewusstsein für etwas Zentrales halten, ist klar. 

Matthias Eckoldt: Für Sie ist Intelligenz das entscheidende Thema. Und da es Intelligenz auch ohne Bewusstsein gibt, ist Bewusstsein für Sie nicht sonderlich interessant. 

Klaus Mainzer: Das würde ich so nicht sagen. Bewusstsein ist durchaus spannend. Vor allem, weil es mit dem Menschsein entscheidend zu tun hat. Das möchte ich um Gottes Willen nicht in Abrede stellen. Aber für mich steht der Mensch mit Blick auf die Evolution nicht im Vordergrund. Da sind wir ein Ergebnis unter vielen. 

Matthias Eckoldt: Nun ja, aber dass wir so etwas wie künstliche Intelligenz überhaupt entwickeln können, scheint mir schon eine Bewusstseinsleistung zu sein, die keinem anderen Ergebnis der Evolution gelungen ist. 

Klaus Mainzer: Als Initiator war da das menschliche Bewusstsein sicherlich notwendig, aber wir werden im Laufe unseres Gespräches noch sehen, wie sich diese Entwicklung verselbständigt. Außerdem gibt es ja nicht nur das eine Bewusstsein, sondern es gibt unterschiedliche Arten von Bewusstsein.
Warum soll also der Mensch Maßstab aller Dinge sein? Der vorsokratische Philosoph Xenophanes hat dem Sinne nach gesagt: Wenn sich die Ochsen eine eigene Religion schaffen würden, dann hätten ihre Götter Hufe und Hörner wie die Ochsen. So sehen unsere Götter menschenähnlich aus.

Tierisches Bewusstsein

Matthias Eckoldt: Welche anderen Formen von Bewusstseinsentwicklung in der Natur sind für Sie interessant? 

Klaus Mainzer: Ich bin als Kind mit Hunden und Katzen groß geworden. Ich mochte sie gerne und sie mich. Deshalb waren sie für mich vom Stellenwert her gleichberechtigt mit meinen menschlichen Freunden. Dann hörte ich im Religionsunterricht, dass meine tierischen Freunde nicht mit in die Kirche dürften, weil sie keine Seele hätten - das hat mir das sehr wehgetan. Natürlich habe ich bemerkt, dass da etwas anders war. Mein Hund war zum Beispiel in Mathematik sehr schlecht. Aber all das, was wir herausstellen, wenn wir von Bewusstsein sprechen, Emotionalität, Ängste, Freude - all das haben diese Tiere auch. Insofern sollten wir auch keine besonderen Rechte aus der Existenz unseres Bewusstseins ableiten. 

Aus dem Buch:

Matthias Eckoldt:
Kann sich das Bewusstsein bewusst sein?

Gespräche mit Dirk Baecker, Markus Gabriel, John-Dylan Haynes, Philipp Hübl, Natalie Knapp, Christof Koch, Georg Kreutzberg, Klaus Mainzer, Abt Muhô, Michael…

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02.03.2018