Lesezeit 20 Min
Wirtschaft

Innovation in the Mix

"Kreativität ist viel weniger göttlich, als wir denken" – ein Gespräch mit dem Innovationsforscher Sascha Friesike

changeX
von
Winfried Kretschmer
Lesezeit 20 Min
Wirtschaft

Kreativität, das ist, wenn einem ganz was Neues einfällt? Sie offenbart sich via Aha-Effekt, Geistesblitz oder Heureka-Erlebnis? Und überkommt uns bevorzugt in der Nasszelle? Ja? Um Kreativität und Innovation ranken sich diverse Mythen, die sowohl den Prozess wie das Ergebnis, die Idee, verklären: als irgendwie göttliche Eingebung. Dabei ist Innovation nichts weiter als Rekombination von Vorhandenem. Ist Mix und Remix. Und eine zähe Angelegenheit: Neues entwickelt sich meist viel mühsamer, schrittweiser, längerfristiger und ist von anderem inspiriert, als wir das wahrhaben wollen.

Herr Friesike, was ist der hartnäckigste Mythos über das Entstehen von Innovationen? 

Mein Lieblingsmythos: Um Innovation möglich zu machen, muss man dafür sorgen, dass zuvor nicht verbundene Aspekte miteinander verbunden werden. Um diesen Mythos herum wird unglaublich viel veranstaltet: offene Büros, damit Leute einander begegnen können, man nichts verpassen und ganz schnell nachfragen kann - das soll die Verbindung zwischen unterschiedlichen Bereichen, wo Ideen entstehen können, ganz einfach machen. Soll Inspiration ermöglichen. Dabei wird aber übersehen, dass viele Innovationen daher kommen, dass Menschen, die viel Ahnung auf ihrem Gebiet haben, sich in einer kleinen Gruppe abschotten und nachdenken. In der Wissenschaft kommt es zu Durchbrüchen, wenn Leute in der Isolation Zeit finden, zu reflektieren. In der Arbeitswelt aber machen wir genau das mehr und mehr unmöglich. Damit fördern wir eine Form von Innovation, blockieren aber die andere. Wir glauben, damit Innovation zu beschleunigen, obwohl wir einen großen Teil davon abschneiden. Das ist mein Lieblingsmythos.

Eine andere populäre Vorstellung, die herumgeistert, ist, dass Innovation immer mit einem Aha-Erlebnis verbunden sei. Ist das auch einer dieser Mythen? 

Dieser Mythos geistert tatsächlich herum. Da gibt es diese Geschichten: von Newton, dem ein Apfel auf den Kopf fällt - und in diesem Augenblick versteht er Gravitation; oder das "Heureka!" von Archimedes, der in der Badewanne entdeckt haben soll, wie sich das Volumen von Gold messen lässt. Daher stammt dieser Mythos vom Geistesblitz, im Englischen "divine invention". Kreativität wird ja gerne als etwas Übernatürliches gesehen, das wir nicht erklären können. Sie wird auf eine Art Eingebung zurückgeführt. In Wirklichkeit entwickelt sich Neues meist viel mühsamer, schrittweiser, längerfristiger und ist von anderem inspiriert, als wir das wahrhaben wollen. Kreativität ist viel weniger göttlich, als wir denken.

Zur…

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23.02.2018