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Kultur

Guter Dinge

Judith Kerr war neun, als ihre Familie vor den Nazis aus Berlin floh. Jetzt ist sie 93, hat gerade ein neues Kinderbuch veröffentlicht und nie die Aufforderung ihres Vaters vergessen: Du musst glücklich werden

BERLINER ZEITUNG / PAULUS PONIZAK
von
Cornelia Geißler
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Kultur

BERLIN. Von ihrem Hotelfenster aus könne sie über ganz Berlin gucken, sagt Judith Kerr. Aber da übertreibt sie. Sie wohnt im zehnten Stock eines Gebäudes nahe dem Kurfürstendamm. Es ist Judith Kerrs Art, die Welt freundlicher zu betrachten, als sie eigentlich ist. Sie kann von dem Fenster nicht einmal bis zum Grunewald gucken, wo sie früher wohnte, in der Douglasstraße 10.

Als sie neun Jahre alt war, ging die Familie dort weg, nur mit etwas Reisegepäck. Sie verließ Deutschland einen Tag vor der Reichstagswahl am 5. März 1933, praktisch in letzter Minute. Judith Kerrs Vater Alfred Kerr war der bedeutendste Theaterkritiker der Weimarer Republik, zugleich ein scharfsichtiger Journalist und Schriftsteller, der die Gefährlichkeit der NSDAP früh erkannt und benannt hatte.

Flucht über Nacht

Also sahen die Nationalsozialisten ihn als ihren Feind an. Außerdem war er Jude. Von einem Polizeibeamten anonym gewarnt, verließ er Berlin über Nacht, sogar mit Fieber. Seine Frau Julia, sie war Komponistin, und die Kinder Judith und Michael brachen kurz darauf nach Zürich auf, wo die Familie wieder zusammenkam und eine Weile in der Schweiz auf dem Land lebte.

Es ist leicht auszurechnen, wie alt Judith Kerr heute ist, 93 Jahre. Beim Treffen im Hotel trägt sie ein elegantes graues Kleid und eine Perlenkette, ihre weißgrauen Locken sind nach hinten gekämmt. Sie wird in Berlin ihr neues Buch vorstellen. Es ist keine große Sache für sie…

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17.09.2016