Lesezeit 17 Min
Kultur

Es ist nicht mehr mein Schmerz

Vor elf Jahren wurde die Schriftstellerin Zeruya Shalev bei einem Terroranschlag in Jerusalem schwer verletzt. Erst jetzt konnte sie darüber schreiben. Ein Gespräch über das Arbeiten im Bunker, Töchter bei der Armee und die komplizierte Liebe zu ihrem Land Israel

BERLINER ZEITUNG / MARKUS WÄCHTER
von
Anja Reich
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Kultur

Am Morgen, nachdem Zeruya Shalev vor 700 Zuschauern im Haus der Berliner Festspiele ihr neues Buch "Schmerz" vorgestellt hat, sitzt sie in ihrer Suite im Charlottenburger Hotel Savoy und friert. Sie trägt eine Bluse und hat sich ein Tuch um die Schultern gebunden, aber das hilft nicht viel. Deshalb bittet sie an der Rezeption um eine Heizung.

Mitten im Gespräch klopft es. Die Heizung kommt. Ein paar Minuten später klopft es wieder. Der Fotograf kommt – und läuft, auf der Suche nach einem Platz, wo er seine Ausrüstung aufbauen kann, nach nebenan. Dort befindet sich Zeruya Shalevs Schlafzimmer, das sie heute früh ziemlich überstürzt verlassen hat. Das Bett ist nicht gemacht, das Frühstücksgeschirr steht noch da, ihre Kosmetik liegt herum, ihre Wäsche.

Nach einer Weile erkundigt sich die Schriftstellerin, was der Mann in ihrem Schlafzimmer mache, ob er vorhabe, sie im Bett zu fotografieren. Sie lacht. Sie lacht viel während des Gesprächs und erinnert in ihrer bedingungslos ehrlichen Art ein wenig an die Heldinnen ihrer Romane. Eine Frau, die nichts spielt, die ihre Gefühle zeigt und die nach einem Kompliment für das Kleid, das sie auf der Buchpremiere trug, gleich im Internet nachsieht, ob man es auch in Berlin kaufen kann. Kann man nicht. Dann könne sie es ja bei ihrem nächsten Berlin-Besuch aus Jerusalem mitbringen, schlägt sie vor. Und besteht nach dem Interview darauf, dass man das Kleid anprobiert. In ihrem Schlafzimmer. Da hat der Fotograf schon wieder abgebaut. Seine Bilder sind dann doch nicht im Bett entstanden, sondern vor dem Fenster.

Was haben Sie gedacht, als Sie gestern auf der Bühne saßen und die Schauspielerin Maria Schrader aus Ihrem Buch vorgelesen hat?

Ich war sehr aufgeregt, denn es war die erste Lesung von "Schmerz".

Die allererste?

Ja, in Israel machen wir keine Lesungen.

Warum denn nicht?

Die Leute haben kein Interesse daran. Sie wollen, dass die Schriftsteller über ihr Buch sprechen und nicht, dass sie daraus vorlesen. Sie denken, lesen können sie selbst.

Das stimmt natürlich.

Ja, das stimmt. Aber die Lesungen hier sind ja auch eine Art Präsentation eines Buches. Ich liebe das. Es ist wunderschön. Ein neues Buch. Ein neuer Anfang. Und…

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10.10.2015