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Gesellschaft

Eine Grenze bedeutet auch, dass es drüben nicht so ist wie hier

Navid Kermani über die Sehnsucht der Völker nach Eigenständigkeit, die Wahrnehmung von Europa an seinen Rändern und Traumata, über die man sprechen muss

© Raimond Spekking / , via Wikimedia Commons
von
Joachim Frank
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Gesellschaft

Navid Kermani hat in seinem neuen Buch "Entlang den Gräben. Eine Reise durch das östliche Europa bis nach Isfahan" wieder eine Reise verarbeitet. Sie führte ihn von Köln bis ins Baltikum, über den Kaukasus bis in die Heimat seiner Eltern, den Iran. Er schreibt vor allem über die Menschen, die er traf.

Herr Kermani, vor zwei Jahren waren Sie auf der Balkanroute retour unterwegs. Jetzt haben Sie eine seltsame Tour von der deutschen Ostseeküste bis nach Iran unternommen, wo Ihre Familie herkommt. Wieder eine Retro-Reise?

Ich wollte im vorigen Jahr ein paar Wochen in Isfahan verbringen, der Heimatstadt meiner Eltern. Die normale Landroute, die wir in meiner Kindheit öfters im Sommer gefahren sind, wäre über den Balkan und die Türkei gegangen. Aber da war ich ja tatsächlich erst kurz vorher auf Reportagereise unterwegs. Bei einem Blick auf die Landkarte habe ich gedacht: Die nördliche Route ist ja viel interessanter. Sie führt einmal quer durch das 20. Jahrhundert mit seinen Katastrophen - bis hin zu Tschernobyl, den Tschetschenien-Kriegen und den vielen lokalen Konflikten im Kaukasus, von denen kaum einer weiß.

Eine Zeitreise also?

Die Vergangenheit, das habe ich in Osteuropa festgestellt, wirkt umso stärker nach, je weniger über sie geredet wird. In der Sowjetunion und manchen Nachfolgestaaten war vieles tabuisiert - von den Verbrechen Stalins bis zum GAU von Tschernobyl. Nicht einmal der Völkermord…

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06.03.2018