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Verbrechen

Das Massaker von Ankara

102 Menschen starben im Oktober 2015 beim schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Türkei. Sie alle wollten für den Frieden demonstrieren. Wie agierten die Attentäter, die dem IS zugerechnet werden? Wie verstrickt ist der Staat? In einem Mammutprozess wird in Ankara nach der Wahrheit gesucht

FRANK NORDHAUSEN
von
Frank Nordhausen
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Verbrechen

ANKARA. Wieder hat sich Emine Onat aus Istanbul auf den Weg zum Justizpalast im Zentrum der türkischen Hauptstadt Ankara gemacht. Sie steht in einer Menschenmenge, die sich vor dem klotzigen Dreißigerjahre-Bau sammelt. Weinend umklammert die 42-jährige Frau eines von 102 Großfotos, die vor dem von Polizei stark gesicherten Gerichtseingang aufgestellt wurden. Fotos der Toten, die beim schwersten Terroranschlag der türkischen Geschichte starben, als sich zwei Selbstmordattentäter inmitten von zehntausend Demonstranten in die Luft sprengten. "Oh Azize, ich vermisse dich so sehr", klagt sie laut.

Der Anschlag geschah am 10. Oktober 2015 um 10.05 Uhr vor Ankaras Hauptbahnhof, an einem warmen Spätsommertag. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor erstmals ihre parlamentarische Mehrheit verloren, in der Folge die Friedensgespräche mit der Kurdenguerilla PKK aufgekündigt und Neuwahlen angesetzt. Die Stimmung im Land war aufgeheizt. Hunderte Kurden wurden verhaftet, Kampfjets bombardierten PKK-Stellungen. Schwere Terroranschläge beunruhigten die Menschen. Ein Bündnis linker Parteien und Gewerkschaften mobilisierte deshalb zu der Demonstration für Frieden in Ankara, und Tausende kamen.

Mit bebender Stimme

Die Doppelexplosion wird der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugeschrieben, auch wenn die Gruppe sich selbst nie dazu bekannt hat. Als Attentäter wurden ein bisher…

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05.07.2017