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Kultur

Das Knie ist neu und die Seele schwarz

Winfried Glatzeder hat mit neunundsechzigeinhalb gemerkt, dass er alt wird und geht nur noch auf Beerdigungen, wenn einer seiner Konkurrenten stirbt. Ein Gespräch über die Erfolge der Jugend und die Härten des Alters

BERLINER ZEITUNG / PAULUS PONIZAK
von
Anja Reich
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Kultur

Winfried Glatzeder läuft durch das Foyer des Theaters am Kurfürstendamm, sucht einen Spiegel, verschwindet in der Garderobe, kommt wieder, sieht genauso aus wie vorher, fragt den Fotografen: "Was soll ich machen? Angst haben oder freudig sein?" Er spielt heute Abend in "Wir sind die Neuen", einer Komödie über drei ehemalige Hippies, die im Alter wieder zusammen in eine WG ziehen. In drei Stunden beginnt die Vorführung. Noch ist das Theater leer und still, zu still für Glatzeder. Er hält Ruhe nicht aus, verwickelt den Fotografen in Gespräche über seine Herkunft, übers Rauchen, die politische Weltlage. Und landet am Ende immer beim gleichen Thema: dem Alter.

Herr Glatzeder, Sie sind erst 72, stehen fast täglich auf der Bühne und wirken auch sonst noch ganz munter. Ist das Klagen über Ihr Alter Koketterie, oder haben Sie wirklich Angst vorm Tod?

Ich freue mich, dass ich von meinem größten Feind, meinem Körper, noch nicht herausgefordert wurde und habe Angst, was meine eigene DNA für mich vorbereitet hat. Ich möchte 93 werden. Ich rauche nicht mehr, saufe auch nicht mehr so viel, weiß aber, dass der Körper hinfälliger ist und der Tod unausweichlich.

Warum gerade 93?

Weil Friedrich Schoenfelder so alt geworden ist. Er war 94, als er starb und hat fast bis zum Schluss hier auf der Bühne gestanden. Das ist so ein Alter, wo man, wenn man sich einigermaßen fit hält, noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Im Altenheim 116 Jahre alt zu werden und jeden Tag ein rohes Ei zu lutschen, das ist keine Perspektive für mich. Da lass ich mir lieber von Exit in der Schweiz eine Spritze geben. Bis dahin sehe ich jede Stunde als Geschenk an, die ich halbwegs ohne Schmerzen überstehen kann.

Wo schmerzt es denn?

In den Schultern und im Rücken, der Lendenwirbelsäule, und in dem Knie, wo noch kein neues Gelenk eingebaut ist.

Deswegen laufen Sie gerade ein bisschen schwerfällig, seltsamerweise aber nur jetzt, auf der Bühne…

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20.05.2017